Mittwoch, 29. August 2012

Und wenn einem die Haare zu Berge stehen ?

.. warum stehen sie einem dann eigentlich zu Berge ? 

Nein, es hat nix mit der letzten, brandaktuellen Fotogalerie des Märchen&Abenteuerspektakels (kurz MA-Markt) in Hinterdreischlapfenbaumkirchen zu tun. Auch nicht mit massiven Werbemaßnahmen diverser Sitzritter- und Barbarenstreitaxtschwingergruppen (was für ein Wort!) im Internet. Und auch nicht mit dem Fehlen jeglicher lokaler, schöner Kulisse für unser übermächtiges Bedürfnis unschuldige Touristen mit mittelalterlicher Realienkundezu nerven.

Nein, es hat etwas damit zu tun:


Das sind nämlich meine Töchter .. im Heu der Bachritterburg. Sie haben sichtlich erkennbar Spaß! Und nachdem eben dieser Spaß im Heuschober vorbei war, waren geschätzte 12.8% des Kanzachschen Heuvolumens in den Haarren der beiden verfangen. Mir standen die titelspendenden Haare dann natürlich nicht zu Berge, dazu war ich zu entspannt, den beiden aber schon.

Also ging es los mit Zupfen und Ziepen und mit dem breiten Grinsen in des strengen Vaters Gesicht, wohl wissend, dass er keinen Kamm zur Hand hat.

Doch nun, meine geliebten Lendensprösslinge, meine über alles verehrten Früchte der Leidenschaft, nun ist Papa gerüstet!

Holzkamm aus Buchenholz, angelehnt an die
mittelalterlichen Holzfunde aus Konstanz und Freiburg

Bei dem Ding da, das aussieht als hätte ein volltrunkener Amokläufer mit einer Bügelsäge versucht auf spektakuläre Art und Weise ein unschuldiges Holzbrettchen zu ermorden, handelt es sich nämlich um Papas neuen Kamm. So! Ha!
Und damit das Entsetzen in euren Gesichtern noch größer und das Flehen um Gnade noch erbarmungswürdiger werden möge, noch ein Detailbild der Zinken:

Detail der groben und feinen Zinken

Da ich aber aus leidvoller Erfahrung weiß, dass das Bürsten oder Kämmen eurer edlen Häupter ungefähr gleichzusetzen ist mit einem Ringkampf zweier tollwütiger Waschbären mit einem unschuldigen Passanten UND da mein Haupthaar die Verwendung eines Kamms eigentlich ad absurdum führt, schenke ich ihn eurer Mutter! Also, "Alles Gute" damit, Schatz und viel Spaß bei der Anwendung!

Wem schadet schon ein bisschen Roman(t)ik ...

Nun, das große historische Abenteuer "Hartberger Zeitreise" rückt langsam näher und da ich dort, anders als sonst in meiner Heimatzeit Hochgotik, im romanischen Darstellungsblock des 12. Jahrhunderts aktiv sein werde, ist es notwendig ein paar passende Ausrüstungstücke zusammenzubringen.

Da zum  Beispiel meine hochgotischen Messer alle eindeutig zu aufwändig für die einfache Darstellung eines spätromanischen Waffenknechts sind, musste also etwas einfaches her:

Einfaches Griffangelmesser mit Heft aus Eschenholz

Ebenso wie die einfache Arbeitskleidung die ich für meine hochgotische Darstellung habe, ist auch dieses Stück bewusst so nach den entsprechenden Funden gearbeitet, dass es auch problemlos einen Platz in beiden Zeitperioden finden kann .. 2 Fliegen mit einer Klappe oder besser ... 2 Zeiten mit einem Messer geschnitzt!

EDIT: Aufgrund eines, leider anonymen, Leserwunsches werde ich hier noch etwas detaillierter zu meinen Überlegungen Stellung nehmen. Um ein "zeitloses" Messer zu bauen, war es für mich natürlich wichtig einen möglichst umfangreichen und zeitübergreifenden Fundkomplex zu betrachten. Dafür boten sich mal wieder die in "Knives and Scabbards" publizierten Funde aus London an.
Längsachsensymmetrische Klingen finden wir dort für das 12. Jahrhundert in den Nummern 13 und 14 vor, während Nummer 15 ein wunderbares Beispiel für Plättchentechnik ist. 

In diesem Fall habe ich allerdings nur die erste Griffplatte übernommen um möglichst einfach zu bleiben, als Beispiel hierfür mag nun das in späterer Zeitstellung befindliche Messer Nr. 29 dienen.
Messer Nr.38 und Nr.39 (spätes 13. Jhdt.) schließlich lieferten, wenn man so will, das allgemein Design meines Messers, im speziellen die Vorlage für das rund-ovale Heft.
Mit dem genau in meiner Zeitstellung platzierten Messer Nr. 57 schließt sich dann der Kreis.


Detailansicht der Griffplatte aus Messing

Fehlt nur noch die entsprechende, einfache Lederscheide. Da werde ich allerdings wohl auf 2 Varianten zurückgreifen - eine romanische und eine gotische - da die die Motivvorlagen der beiden Kunstepochen doch zu unterschiedlich sind.


Mittwoch, 15. August 2012

Bachritterburg 2012 - eine andere Sichtweise


Hmmm? 4 Tage mittelalterliche Burgbelebung? Durch die überschäumende Begeisterung meines Mannes dazu motiviert, planten wir also einen Teil unseres Jahresurlaubes für die Belebung der Bachritterburg.

Ich schaute dem ganzen eher skeptisch entgegen. 4 Tage mit einer 4jährigen und einer 9jährigen auf einer Burg. Schlafen auf Strohsäcken, den Wetterverhältnissen wahrscheinlich wenig angepasste Kleidung (wer trägt schon gerne Wolle über Leinen bei 36 Grad), minimale sanitäre Ausstattung und ein Ausblick auf elende Langeweile (für die Kinder) und die ständigen skeptischen Fragen „und was machen wir da?“. (Ehrlich gesagt, hatte ich schon mal sicherheitshalber nach einem „Notquartier“ gegoogelt!) Also erst mal „Spielsachen“ zusammensuchen. Einer Sammlung unserer historischeren Spielzeuge widmen wir mal einen eigenen Eintrag. Ergänzt wurde diese um unlackierte Bausteine, Wolle und Stoffreste und die Aussicht auf andere Kinder. Für mich selbst gab es ja genug Arbeit, aber ob ich auch dazu kommen würde?


Und dann der erste Tag. Für die Kinder – zu diesem Zeitpunkt noch ohne Spielgefährten – war mal die Erkundung der Umgebung angesagt. Durch die Abgrenzungen ein recht kindersicheres Areal, brauchte ich mir darüber nicht viele Gedanken zu machen. Also ab zum Küchendienst. Dass ich mich nach den 4 Tagen wie Selchfleisch fühlen würde, war mir ja klar. Zu meiner großen Überraschung kam auch meine Große helfen, hat Birnen geschnitten und Mandeln geschält. Die Kleine war auch gut beschäftigt, und unser aller Mühen wurde mit einem Bad in einem nahegelegenen See belohnt. Die erste Nacht mit den Mädels in einem kleinen Doppelbett (mit Strohsackmatratze) war wenig entspannend, aber daran konnte man ja arbeiten.


Die Palatschinken zum Frühstück (Verzeihung – Pfannkuchen natürlich!) ließen das Herz meiner Kleinen höher schlagen und die Große freute sich schon auf die Neuankömmlinge. Bevor ich mich wieder dem Küchendienst widmete, konnte ich noch meine Stickerei erneut auf den historischen Rahmen aufziehen und die unterschiedlichen Tätigkeiten rundherum, sowie viele tolle Gespräche zum Erfahrungsaustausch und das Bewundern und Analysieren von Hab und Gut der Anderen, ließen die Zeit recht kurz werden.

Bald hatte ich mich an das viertelstündliche Schlagen der Turmuhr des nahen Kirchturms gewöhnt, und konnte recht gut einschätzen, ob es nun 11:30 oder schon 13:30 war. Uhr, Handy, Laptop oder gar Fernseher gingen nicht mal den Kindern ab (Na gut, ab und zu gab es für die Große eine „Nintendo-Pause“ im Auto.). Naja, die 4 Schläge zur vollen Stunde und die 2 Schläge für 2 Uhr nachmittags hatten für mich schon einen eigenen Reiz – das gebe ich zu! Da öffnete nämlich das kleine Cafe im Burghof und wir durften „Pause“ vom Mittelalter machen, und uns an Kaffee und köstlichen Kuchen – oder im Falle der Kinder an einem guten Eis – gütlich tun! (Was jetzt bitte nicht heißen soll, daß unser Essen nicht gut war! Wir wurden – wie immer bei MiM – ausgezeichnet verköstigt! Aber Koffein nach einer unruhigen Nacht und dann diese Himbeertorte…)


Ich lernte Nadelbinden (und komme damit auch ganz gut voran; ein Grund, warum ich meinen Almosenbeutel derzeit ein wenig stiefmütterlich behandle; aber die Strümpfe für meine Mädels für die Veranstaltung in Hartberg sind mir gerade wichtiger), konnte endlich die Seidengarne in natura anschauen, die ich nun bald bestellen würde, sah, daß die Tätigkeit des Netzens nun doch nicht so kompliziert war, wie das Endergebnis vermuten läßt. Ich lernte einiges über die Küche im Mittelalter und noch vieles mehr.


Die 4 Tage vergingen wie im Flug. Und mit einem lachenden und einem weinenden Auge nahmen wir Abschied von der Bachritterburg. Auf der einen Seite hätte es für mich nicht länger dauern müssen. Zu vieles passt an meiner persönlichen Ausrüstung noch nicht. Da möchte ich lieber nun über den Winter daran arbeiten – ich brauche ein dünneres Leinenkleid und ev. noch eine Chemise – wenn ich sie belegen kann. Außerdem ein dünneres Wollkleid und noch einiges für meine Handarbeitsuntensilien.
Andererseits waren das 4 wunderbar erholsame Tage. Weit ab von den alltäglichen Gedanken um Arbeit, Familie und Haushalt. Reduziert auf das hier und jetzt (und eventuell noch das morgen). Keine Katastrophennachrichten oder politischen Querelen, wo man sich trotz aller aufgebrachter Gleichgültigkeit so seine Gedanken macht. Nur schauen, ob es den Kindern gut geht oder man mal lenkend eingreifen sollte, den Mann – mangels weiterem Färbegut – davon abhalten, selbst noch in das Indigo-Bad zu steigen, nachfragen, ob man denn in der Küche helfen kann oder überlegen, wie man die Zeit bis zur nächsten tollen Mahlzeit am nützlichsten verbringen kann.

Der nächste Aufenthalt auf der Bachritterburg ist jedenfalls schon „gebucht“. Und diesmal sehe ich dem schon eher freudig und gelassen entgegen. Zwar stellen sich andere Herausforderungen (alleine der Termin zwingt uns zu ausgefeilter Planung), aber ich denke, die 4 Tage werden es wert sein!

Eure Sophia

Bachritterburg August 2012

Als Geschichtsdarsteller steht bei den Ferientagen eigentlich auch immer die Entscheidung an: Mittelalterveranstaltung, Bildungsreise oder doch Urlaub mit Freunden? Glücklicherweise ist manchmal auch sprichwörtlich alles möglich, und die Tage auf der Bachritterburg hatten von Alledem jede Menge!


Und das nicht ganz zufällig, die von MiM geplante und durchgeführte Veranstaltung war von vornherein als zwang- aber eben nicht inhaltsloses Treffen von Freunden und Bekannten mit gemeinsamem Spaß an historischer Darstellung ausgelegt. Wie beabsichtigt hatten wir die Bachritterburg, abgesehen von gelegentlichen und fast zufällig wirkenden Besuchern, die ganze Zeit über ganz für uns.
Und ich kann sagen, die Bachritterburg ist ein verdammt schöner Spielplatz für Erwachsene mit historischem Darstellungsbedürfnis! Gut gelegen, mit Mühen und viel Hingabe in nächster Nachbarschaft zum ständig schlagenden Turmuhrwerk errichtet, ist es ein Objekt das uns Hochgotiker wirklich träumen lässt. Und bevor ich jetzt zu den wenigen Wermutstropfen der Anlage komme, sei mir eine Feststellung erlaubt:

So eine großartige Kulisse wie die Bachritterburg gibt es für Geschichtsdarsteller des Mittelalters in Österreich nicht. PUNKT. Nein, besser RUFZEICHEN! Oder gleich zwei!!

Was man in Kanzach da auf die Beine gestellt hat wird für uns hier wohl für immer ein Wunschtraum bleiben, viel zu selbstzufrieden sind wir in unserem ach so "kulturellem" Land längst mit halbherzig begaukelten Burgruinen, mitleiderregenden Renaissanceschloß-Kommerzfesten und unmusealen, zu Tode geblödelten Museumsmärkten.
Aber auch im Paradies gibt es seine Tücken. Natürlich hat auch ein ambitioniertes Bauprojekt seine historischen und leider auch modernen Fehler. So einen fein gepflasterten Burghof hätte sich wohl kein damaliger Lehnsträger für seine kleine Sumpfburg gegönnt und auch manch ein Gebäude scheint einer Nutzung zu unterliegen die für die baulichen Gegebenheiten doch etwas wunderlich erscheint. Aber was soll‘s, dafür sind die Räume historisch passend spartanisch eingerichtet (Hier ein „Nein“ an alle Antikendarsteller, es ist nicht die zeitgemäße Ausstattung eines griechischen Stadtstaates gemeint). Einfache Betten (und davon korrekterweise recht wenig), Tische und Bänke (und eben keine Lehn- oder gar, Herr erbarme dich, Steckstühle) und eine handvoll Truhen, das war‘s. Herrlich! Na gut, ein paar Wandhaken oder das eine oder andere Regal hätte man sich noch gewünscht, aber der Gesamteindruck passt.
Bleiben noch die modernen Fehlgriffe, die sind zwar immer noch weniger als im Durchschnittszelt des typischen Markttemplers aber gerade vor solcher Kulisse umso ärgerlicher. Warum man den Burghof mit Heurigengarnituren bestücken oder eine Speiseeiskarte an ein wahrscheinlich mühsam rekonstruiertes Tor nageln muss ist mir auch nach längerer Überlegung immer noch ein Rätsel.
Aber genug der miesen Miene und auf zur Frage: Was tut man jetzt all die Tage die man kaserniert mit anderen Verrückten auf einer kleinen Holzburg zu verbringen hat ?

Nun, bevor ich dazu komme was man tut erst mal das was man nicht tut, nämlich sich langweilen.
Ständig herrschte angenehm hektische Betriebsamkeit. Meter um Meter Stoff wurden gefärbt nur um gleich danach gegen Gürtel getauscht zu werden. An allen Ecken wurde gewerkt, und das neben detaillierten Erläuterungen für die -zugegeben in nummerischer Unterzahl angetretenen- wissenshungrigen Besucher.


Zum Färben muss ich ja wohl noch extra schreiben, bisher fand ich das Pflanzenfärben ja für die grundsätzliche Kleidungsausstattung ganz nett, aber die Begeisterung vieler konnte ich nicht teilen. Dann kam die Bachritterburg und ein Kessel voll mit gelber Suppe mit blauen Blasen oben drauf. „An sich nicht uninteressant“, dachte ich und als das erste Tuch grünfleckig und voller Schlieren aus dem Kessel kam folgte ein gedankliches „Na toll, so ein Dreck!“. Und dann, na dann kam das Schwupps. Das Schwupps ist für die noch nicht beim Färben mit Indigo Dabeigewesenen schwer erklärbar, aber der gründreckige Stoff wird an der Luft blau, und zwar richtig mächtig blau. Dass man danach mit dem knallblauen Tuch noch in den eiskalten Bach hüpfen kann war eigentlich nur mehr das Schlagobergupferl (Übersetzung: Sahnehäubchen). Und ab jetzt .. ich liebe Blau!


Dann ist da natürlich noch das Fachsimpeln, von gemütlichem Geplauder, über faszinierende Literaturtipps bis hin zu erregten Debatten über Quellenlagen war eigentlich alles dabei. Man fühlt sich als Geschichtsdarsteller ja oft intellektuell vernachlässigt wenn der typische Marktbesucher auf alles was man sagt mit einem lakonischen „Aha“ reagiert und nach dem vierten Schachtelsatz die Ohren zuklappt. Mitstreiter auf der Reise ins 14. Jahrhundert sind da ungemein fruchtbarer, statt „Aha“ kommt da eigentlich meist ein erfreutes „Ja,genau! .. aber ..“.


Und dann noch das Essen, und damit meine ich eigentlich Essen in Großbuchstaben. Ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen behaupte ich mal unser MiM-Küchenteam gehört zum Besten was die Szene gesehen hat. In größter Mittagshitze wurden da Pasteten zubereitet, unter Gefahr des Lungeninfarkts frische Forellen geräuchert oder während typischer Frühaugusttemperaturen herzhaftes Brot gebacken. Wären die Tafeln nicht so massiv gewesen bin ich augenzwinkernd überzeugt sie hätten sich durchgebogen! Das Gewicht der omnipräsenten Fliegen hätte dazu noch beigetragen, aber für die Mistviecher kann eben je nach Gesinnung nur der Himmelvater, die Erdmutter oder Hr.Travnicek aus dem Nachbarhaus etwas.

Was fehlt noch ? Ach ja, schlafen. Na gut, schlafen tut man nicht sehr viel, schließlich kann man die halbe Nacht noch Zeit damit zubringen endlich mal wieder Privates zu plaudern und das Leben unter Freunden bei einem Becher Wein zu genießen.

Ach was bin ich froh (und meine Leser sicher auch), dass ich erst jetzt blogge, wo doch schon wieder ein paar Tage vergangen sind. Noch auf der Rückfahrt nach Österreich war der gedankliche Blogeintrag anhand der vielen Eindrücke nämlich geschätzte 37 mal so lang.


Es bleibt mir also nur ein großes, aus tiefstem Herzen kommendes Dankeschön an das engagierte Bachritterburgteam und natürlich an die Mädels und Jungs, die Freunde und Freundinnen, die Mitstreiter und Weggefährten, also an all jene die diese Tage mit uns geteilt haben!

Ich komme sicher wieder!
Euer Niklas