Dienstag, 14. Oktober 2014

Konkurrenz belebt das Geschäft

So, oder ähnlich, werden meine Messer wohl denken wenn ständig ein neues Stück dazukommt ... aber da kann ich ihnen nicht helfen, im Moment läufts grad.


Anregung für mein neues "Messer des Monats" war ein Stück aus dem 15.Jahrhundert das in der Wiener Hof-, Jagd- und Rüstkammer liegt. Es handelt sich dabei um ein Besteck mit einem wunderschönen, massiven Griff aus Bergkristall der in Plättchentechnik verarbeitet ist. Und jetzt bitte nicht enttäuscht sein, ich hab keine Replik davon gemacht!

1. ist das Stück viel zu spät für meine Darstellungszeit
2. ist es so kunstvoll gearbeitet und mit vergoldeten Silberbeschlägen versehen, dass ich mich scheitern sehe
3. stell ich mir Bergkristall zum Bearbeiten irgendwie infernalisch vor

Aber ... es brachte mich auf eine Idee, und weil ich gerade lesemäßig zwischen Ilse Fingerlins "Gürtel des Hohen und Späten Mittelalters" und Holtmanns "Untersuchung zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Messern" hin und her pendle (irgendwie les ich die immer wieder mal und komm jedes Mal auf etwas drauf das ich beim vorherigen Lesen nicht mitbekommen hab .. muss wohl das Alter sein) dachte ich mir, was sagt denn der gute Dr. Holtmann zu ... Bernstein!!


Und was soll ich sagen .. er sagt JA .. oder besser er schreibt es.

Also habe ich mich auf die Bernsteinsuche gemacht und weil ich ja völlig fuzzymäßig un-A bin führte mich mein Weg nicht an irgendwelche einsamen Ostseestrände sondern ganz lapidar an die Tastatur! Und schnell konnte ich feststellen, dass es gar nicht leicht ist Bernstein in entsprechenden Größen zu bekommen OHNE das darin eine Eidechse eingeschlossen ist die gerade eine Spinne beißt welche eine Mücke frisst .. oder besser fraß, denn die lieben Tierchen sind ja schon lange tot.

Letztendlich bekam ich aber ein sehr hübsches transparentes Stück das auch von der Größe her ansprechend war und konnte mit der Arbeit beginnen.

Plättchentechnik war angesagt, und auf die Gefahr hin langsam langweilig zu wirken entschied ich mich Buntmetall, Leder, Knochen und Buchsbaumholz der Gleichung hinzuzufügen.


Da mein Bernsteinstück bereits auf eine Zukunft als überdimensionale Schmuckperle hoffend mittig durchbohrt war brauchte ich das Ganze nur etwas aufzubohren um einen Führungskanal zu haben. Wozu? Na, ich dachte mir ich brenn den Bernstein auf die Angel auf und da ist es ganz gut ein Loch zu haben dem man beim Aufbrennen folgt.

Tatsächlich stellte sich bald heraus, dass ich echten Bernstein erworben hatte, denn in der Werkstatt duftete es nach dem Aufbrennen der Bernsteinperle wie in der St.Stephanschen Weihnchtsmesse.

Die Plättchen aus Buntmetall hab ich übrigens mit einem Meissel geschlitzt und auf die Angel aufgeschlagen, der Rindsknochen wurde mehrfach durchbohrt und danach wurde das Loch auf Angelquerschnitt aufgefeilt. Das Leder konnte ich praktischerweise gleich mit der zukünftigen Messerklinge zuschneiden und den Buchsbaum hab ich gesägt, eingebohrt und auf die Angel geschlagen. Danach? Schleifen und Feilen, Feilen und Schleifen und noch mehr Feilen ... *tata*:


Zuletzt wurde der Griff noch geölt und die Klinge scharf geschliffen. Jetzt kommt dann die Scheide, hoffentlich ein neuer Tag und so Gott will eine gute Idee dafür.

Und weil es so schön ist, noch ein paar Lichtspiele:



Abstract for our english-speaking visitors:
I made another knive, this time using a very uncommen material: amber! The rest of the knive is made from boxwood, cattle bone, leather and brass. Piece by piece was stuck on the tang and fixed by mounting the final piece, the boxwood handle. Then the whole knive handle was filed to the wanted form.

Dienstag, 7. Oktober 2014

Leben oder nicht leben? Die Sache mit der Vita

Worum soll es heute gehen? Um die Vita! Warum? Weil ich das großspurig in meinem letzten Post so angekündigt habe. Und weil meine Großhirnrinde protestierend knirscht wenn da etwas festhängt, das ich scheinbar zu einem vergangenem Zeitpunkt schreiben wollte. 

Aber fangen wir die Erklärerei schon mal an: Unter dem saloppen Wort "Vita" kann man (muss aber nicht) in der Szene für historische Darstellungen eine fiktive Lebensgeschichte der dargestellten Figur verstehen.

Aber dargestellte Figur? Da haben wir schon das Dilemma, denn viele Mitglieder in der Living-History-Szene (und ja, ich möchte heute möglichst viele Bezeichnungen für die Gruppierung der Geschichtsbegeisterten einsetzen, ungeachtet ihrer Definition woauchimmer und rein Bezug nehmend auf all die Begriffe die mir immer um die Ohren schwirren) .. also viele Mitglieder der Reenactment-Szene stellen ja eigentlich keine Figuren dar. Schließlich ist historische Darstellung ja kein LARP oder Laientheater. Oder muss es nicht sein. Oder darf es nicht sein. Je nach persönlicher Einstellung.

Aber beginnen wir doch von vorn ... was ist historisches Darstellungsreenactment lebendiger Geschichte eigentlich? 

Da wirds schwierig, denn bevor wir da überhaupt zur "Vita" kommen, müssen wir schon mal die "Gewandungsverweigerer" aus der Zielgruppe der "Lebensgeschichtenfiktionsbegeisterten" auschließen. 
Gewandungsverweigerer? Heißt das jetzt Freundin Brettchenweberin klemmt sich pudelnackig hinter den Brettchenwebstuhl und lässt die Borte glühen? Nein, ich fürchte das heißt es nicht, obwohl das die Popularität der Archäotechnik sicher deutlich heben würde. Es bedeutet vielmehr, dass man gar keine rekonstruierte (oder im Falle der klassischen "Mittelalterszene" eher eine teure aber falsche) Kleidung tragen muss um Geschichte zu vermitteln. Das geht auch ohne! Echt! Mittelschullehrer und Experimentalarchäologen können das und weder das Weiterblättern in den Schulunterlagen am natürlich zeitgemäßen Beamer im Fach "Geschichte und politische Bildung" noch das Schwingen einer rekonstruierten Jungsteinzeitaxt erfordern vegetabil gegerbtes Schuhwerk.

Aber es schadet auch nicht!

Ähnlich wie in dem oben angeführten Beispiel ist die Sachelage nun auch bei den "Gewandungszuwendern" und der Vita. Denn zur Vermittlung mittelalterlicher Sachkultur oder der Vorführung historischer Handwerkstechniken in passender Umgebung muss ich mir ja keine Gedanken darüber machen, was denn der oder die Gute denn wohl zum Frühstück hatte und ob er (oder sie) seine letzte Predigt jetzt auf Latein oder in Mittelhochdeutsch gehört hat. Das geht auch ohne! Wirklich wahr! Denn ob der dargestellte Handwerker jetzt der geliebte Sohn einer glücklichen hochgotischen Kleinfamilie oder der immer von seinem Vater gering geschätzte und in den Beruf gedrängte Depressionist ist, macht für den interessierten Besucher gar keinen Unterschied. Ganz im Ernst, wenn man es ihm nicht studenlang unter die Nase reibt merkt der das gar nicht!

Aber es schadet auch nicht! 

Oder doch?

Denn leider verkommt die Vita (Definition siehe oben) allzu oft zu etwas völlig anderem als nur einer netten Ausschmückung ... sie wird zur Ausrede und Rechtfertigung für jeden Mangel an Wissen und Material und zur (oft zwanghaft auftretenden) Integration persönlicher Schnurren und Schnacken in die Darstellung genutzt! Ein Beispiel? Sehr gern!

Die Hundefrisörin Claudia M. mag Schwerter seit sie irgendeinen Marion Zimmer-Bradley Roman gelesen hat. Und sie hat sich natürlich auch eines gekauft. Und jetzt mag sie es natürlich auch jedem zeigen. Als war ihre gerade noch durchschnittliche Magd (mehr als "Schankmayd" war bei Leonardo Carbone in ihrer Größe leider grad nicht lieferbar) in ihrer frühen Jugend ein Ritter! Geht nicht? 
Doch! Die Vita machts möglich, denn schließlich reist in der pilgernden Wanderhure auf ZDF ja auch eine Frau als Mann. Das hat Chiannerra Dragonlove (so heißt die Magd weil sie zwar irgendwo auf österreichischem Boden steht aber natürlich aus dem mystischen Ir(r)land stammt wo die Frauen herrschen und den ganzen Tag zaubern während sie Clannad in Endlosschleife hören), in ihrer Jugend auch getan. Sie war ein verkleideter Knappe, lernte in den Kreuzzügen kämpfen und trägt jetzt ein Schwert! Aber das darf sie doch nicht?
Doch, sagt die Vita, denn ihr erst kürzlich aus chinesischer Gefangenschaft entkommener Vater ist nämlich ein lange verschollener deutscher Großfürst und hat es ihr ausdrücklich erlaubt!

Ich denke jetzt sollte klar sein wo die Reise hingeht, oder? In weniger geschliffenen Worten als ich sie mir sonst anmaße gesagt: Sich einfach jeden Scheiß der einen im Enddarm zwickt mit einer kruden Geschichte schönreden! Zu faul zum Lesen? Dann denk ich mir was aus! Sogar zu dumm zum Denken! Auch kein Problem, irgendwer auf einem Mittelaltermarkt kann die entsprechenden Tipps geben während er seinen mettrinkenden Buchhalterkörper auf dem Steckstuhl in perfekter Balance hält.

Geschichtsvermittlung? Hmm, ja aber ... mit Geschichtsvermittlung hat es schließlich auch zu tun, wenn unsere Claudia jedem zahlenden Touristen minutenlang mit ihrer selbsttherapierenden Lebensfiktion auf die vom Dudelsackgelärme eh schon geplagten Nerven geht. Oder?

Nun, nach all dem bisher Geschriebenen (Meinen tiefempfundenen Respekt all jenen die es bis hierher geschafft haben übrigens!) kann man jetzt davon ausgehen, dass ich ein erklärter Gegner fiktiver Lebensgeschichten bei der Geschichtsvermittliung bin! Könnte man, besser gesagt, denn das Gegenteil ist der Fall. Aber warum, wird sich mancher jetzt fragen? Warum nur??

Weil eine richtig .. nein, RICHTIG wissenschaftlich recherchierte Vita eine unglaubliche Gelegenheit darstellt sich die Löcher im eigenen Wissenspool aufzufinden und zu stopfen! Mir geht es jedenfalls so. 
Denn wenn ich beim Frühstück sitze und mich frage: "Was hätte Niklas Hufenbauer wohl vor 674 Jahren um die Zeit gegessen?" dann muss ich nachlesen. 
Und wenn mich meine Tochter fragt. "Mir ist langweilig, Papa! Darf ich einen Gürtel punzieren" dann kann ich sagen "Klar, denn schweizerischen Handwerksordnungen aus dem 14.Jahrhundert zu Folge war die Mitarbeit von Söhnen UND Töchtern in der väterlichen Werkstatt eindeutig geregelt und dieses waren von der Maximalanzahl an Lehrlingen ausgenommen"! Sie wird dann zwar sagen: "Jaja, schon gut, Papa, jetzt ist mir noch langweiliger" ... aber wir alle haben was dazu gelernt. Denn je mehr ich über das Leben einer fiktiven Person am nachdenken bin umso mehr muss ich mit meinen Quellen auseinandersetzen um aufkeimende Fragen zu klären!

Die Anzahl der Fragen die Interessierte an mich stellen und die ich mit einem geheimnisvollen Lächeln, einem Achselzucken und dem lapidaren "Wer weiß?" abtun musste hat übrigens eklatant abgenommen seit ich begonnen habe ein Vita für meine historische "Figur" erforsche.

Durften Mädchen dem Vater in der Werkstatt helfen? Wer trug Stiefel und warum? Ein Dolchmesser an der Hüfte und keine Erklärung wieso? Tja, eine Vita-Recherche beantwortet diese Frage ... für mich und für jeden Besucher der Zukunft jedenfalls.

PS: Und wo ist jetzt diese berühmte Vita? Warum kann man die nicht am Blog nachlesen?? Und wann gibts die im Taschenbuch endlich bei Amazon??? Tja, liebe Leser, es tut mir leid, aber da sind noch so viele Löcher drin, dass ich mit Schreiben noch nicht mal angefangen habe!