Donnerstag, 21. August 2014

Endlich geschafft ... Nadelsalat!

Man glaubt ja oft nicht was sich als Handwerkernemesis alles heranschleichen kann. Nach dem Meistern von Dingen wie dem hochgotischen Ärmel mit rückarmigem Nahtverlauf und gedrehter Armkugel, dem Bau von Messerrepliken in historischer Plättchentechnik, zahlreichen Gürtelrekonstruktionen, verziert mit handgemachten belegbaren Punzen und der Konstruktion und Umsetzung eines klappbaren Kerzenleuchters sah ich mich als recht brauchbaren Handwerker an. Noch dazu da ich das meiste ja wirklich mit historischen Techniken und auch historisch belegbaren Werkzeugen erledige.

Aber dann kam sie: Meine Nemesis, die strafende Göttin meiner Hybris, die verdammte Zerstörerin meines Selbstvertrauens ... die ... mittelalterliche ... Nähnadel!

Schon vor einiger Zeit begann ich mit dem Anfertigen von historischen Nähnadeln, damls war es schon ein langes Herumprobieren bis ich die richte Technik für geschlagene Rundöhre heraus hatte und das entsprechende Werkzeug fertigen konnte. Hört sich aber jetzt auch, mit einem durch schlechten Nachtschlaf bedingten leichten Jammern, komplizierter an als es war, denn ein gehärteter Rundstichel zum Schlagen des Öhrs war letztlich doch keine Nuklearphysik.

Dann aber kam mal der lebensverändernde Tag (wie gesagt ich habe heute schlecht geschlafen und mag etwas zur Dramatik neigen) an dem ich die Strümpfe meiner Tochter anpassen musste! Und voller Motivation nahm ich mir ein verzwirntes, pflanzengefärbtes Wollgarn und meine Messingnadeln um den (natürlich ebenfalls aus passender Wolle bestehenden und pflanzengefärbten - ich sollte wirklich früher ins Bett gehen, jetzt geb ich auch noch an) Strumpf zu nähen .. und scheiterte spektakulär beim Einfädeln. Der verdammt Wollfaden wollte und wollte nicht durch das Öhr! Da wurde mir klar, dass ich Nadeln mit Langöhr brauche!

Warum Langöhr?
Nun moderne Nähnadeln haben Langöhre, da sich die Querschnittsfläche eines Fadens nicht ändert ob er nun im Naturzustand (also runder Querschnitt) oder flachgedrückt zum Einfädeln benutzt wird.
Da aber die Nadelbreite am Öhr entscheidend für die Nähcharakteristik einer Nadel ist ist eine Nadel mit rundem Öhr (für Fäden mit natürlich belassenem, rundem Querschnitt und damit dem vollen Durchmesser) entsprechend breiter und somit schwerer durch das Textil zubringen. Außerdem neigen verzwirnte Nähgarne ohnehin dazu aufzudröseln und eine langovale Form anzunehmen.

Mit vor Selbstbewusstsein über meine handwerkliche Begabung strotzender Brust griff ich also erst mal ... zu diversen Fachbüchern.

Doch in meiner sehr umfangreichen Bibliothek fand ich zwar eine Menge Fundbilder von Nähnadeln aus dem 12. - 15- Jahrhundert, aber selbst mein Hr. Krabath mit seinem hervorragenden "Die hoch- und spätmittelalterlichen Buntmetallfunde nördlich der Alpen" im Stich was die Analyse von Herstellungsverfahren von Nähnadeln angeht. (was das Buch aber trotzdem immer noch zu einem unverzichtbaren Wer für jeden Rekonstruktionshandwerker macht. Danke, Hr. Krabath!).

Also blieb mir nur die Analyse der Bildmaterialien und da liefert mal wieder Egans "The Medieval Household: Daily Living c.1150-c.1450" ,auf Seite 269, die besten Fundbilder (auch dieses Buch halte ich für unverzichtbar .. und ich wiederhole mich, ein weiteres Symptom meiner gestörten Nachtruhe. Aber das mit dem unruhigen Schlaf hab ich glaub ich schon erwähnt).

Zuerst wollte ich mich auf meinem steinigen Weg zum Langöhr an einer Technik versuchen die ich letztens mit meinem Freund Thomas besprechen konnte und die sich auf diesem Fundbild zu bestätigen schien: Das Aufspalten der Nadel an einem Ende mit anschließendem Biegen des Öhrs und abschließendem Verlöten. Allerdings fand sich erst mal kein adequater Nadelfund zum Beleg unserer Theorie.
Das sich die Theorie durch die Lektüre von Ottaway/Rogers "Finds from Medieval York: Craft, Industry and Everyday Life" (auch ein unverzichtbares ... aber ja, sollte jetzt mittlerweile klar sein, dass ich hier nur unverzichtbare Bücher als Quelle anführe) dann auch noch bestätigen ließ (Seite 2739) war natürlich jetzt ganz angenehm.

Also ging ich ans Werk und nahm, 1,5mm, 1mm und 0.8mm - Messingdraht (Krabath erwähnt bei seinem Beitrag über Stecknadeln im oben genannten Buch die Verwendung von Messingdraht) aus dem Modellbau zur Hand und begann mit dem experimentieren um die Arbeitschritte und nötigen Werkzeuge zu ermitteln.


 
Kurz und gut, die Werkzeuge die so ein historischer Nadelmacher (und ein Wien hatten die eine eigene gasse nach siich benannt) wohl unbedingt brauchte, sind schnell genannt: ein Amboss, ein leichter Hammer, ein scharfer Meißel mit entsprechend kleinem Kantenwinkel an der Schneide, eine feine Rundzange, etwas Feuer, ein kleiner Wetzstein und Lötmaterial.

Nun die nötigen Arbeitsschritte, und ich würde mit den größeren Drahtdurchmessern beginnen und mich nach und nach im Durchmesser nach unten arbeiten:

1. Der Messingdraht (0.8mm) in seiner natürlichen, rundgezogenen Form


2. Der Messingdraht wird mit leichten Hammerschlägen flachgeklopft und sieht dann so aus:


3. WICHTIG: Jetzt muss das ohnehin spröde Messing erstmal weichgeglüht werden, dafür bedarf es keine großen Hitze. Eine Kerzenflamme, eine Lagerfeuer oder auch ein Feuerzeug genügen und nach 4-5 Sekunden ist das Material weich.

4. Jetzt wird der Draht mit dem Meißel aufgespalten, ein Vorgang der durchaus einiger Übung bedarf, also nicht die Geduld verlieren und reichlich Messingdraht bereithalten.


5. Danach werden die beiden entstandenen Schenkel auseinander gebogen und mit dem feinen Wetzstein entgratet und versäubert


6. Jetzt wird mit der Zange jeder der Schenkel leicht in S-Form gebogen


7. Jetzt werden die Schenkel nur noch vorsichtig zusammengebogen und dann ist die Nadel bereit zum Löten


8. Zum Verlöten der Nadel habe ich in Ermangelung historischer Lötmaterialien und der fehlenden Übung darin eine normale Elektro-Lötstation benutzt und mit handelsüblichem Elektroniklot gearbeitet. Das sieht dann, wenn man wie ich kein besonderer Lötmeister ist, so aus:

 

9. Nun kann man die überschüssigen Lötreste mit Feile oder Schleifstein wegarbeiten und erhält das Endergebnis:


 10. Auf dem Wetzstein werden die Nadeln jetzt durch Schleifen zugespitzt. Dies geschah lt. Holtmann wohl in den meisten Fällen durch eine Art Facettenschliff.

11. Und letztens: Polieren - das polieren des Nadelschaftes geht recht schnell mit einem Stück Leder in dessen Fleischseite man feines Sandpulver eingerieben hat. In wie weit man mit verschiedenen Textilien noch eine bessere Politur erreicht muss ich erst ausprobieren. Aber um die Nadel arbeitsbereit zu machen reicht das Lederschleifen völlig aus.
Komplizierter ist das Polieren des Nadelöhrs, aber da kann man sich z.B. mit einem verzwirnten Leinenfaden behelfen, den man ins Öhr fädelt, mit Zähnen und der schwächeren Hand hält und mit der anderen Hand die Nadel auf und abreibt. (Hört sich in der Beschreibung jetzt komisch an - aber es gibt davon kein Foto! Warum? Na klarerweise weil ich keine Hand frei hatte, da ich mit einer Hand den Faden und mit der anderen die Nadel halten muss! Und ausserdem seh ich auf dem Foto selten dämlich aus)

Stolz und befriedigt nach einem solchen Werkstatttag, dazwischen hab ich zur Auflockerung nämlich immer ein wenig Messermachen eingestreut, juckte mich dann noch etwas unter den Fingern. Es sind nämlich auch Exemplare gefunden worden, deren Öhr scheinbar nicht durch Spalten und Verlöten entstand, sondern die eindeutig so wirken als ob das Langöhr direkt in den Nadelschaft geschlagen worden wäre. Und das wollt ich probieren!

Um es kurz zu machen, zahlreiche Messingabfälle später kam ich deutlich später aus der Werkstatt raus als ich vorgehabt hatte und hielt sie in der Hand .. die Meisternadel!
0.8mm Schaftdurchmesser mit dem Meissel gespalten .. Trara! (Jetzt ist übrigens die Gelegenheit für Applaus)

Die Meisternadel (nochmaliger Applaus wäre angebracht)
Und weils so schön ist, nochmal im Detail

Tja, das wars auch schon wieder .. und mit letzten Impressionen überlasse ich euch wieder euren spätnachmittaglichen Verrichtungen. Oder auch den mitternächtlichen, ich will ja niemandem vorschreiben wann er meinen Blog liest .. Hauptsache ihr lest ihn!

Die fertigen Nadeln

Und hier nochmal mit Größenvergleich
 Abstract for our english speaking visitors:
This article is about medieval needle making and a little a how-to of making sewing needles. On a serie of a pictures the making of a needle is shown, starting with hammering the shaft, splitting it with a very fine chisel, making the the eye with a tiny plier and solding the whole thing together again. If you have any questions concerning this topic, please feel free to contact me!