Dienstag, 10. Mai 2016

Wie ist es als Gerüsteter im Regen?

Na, der Helm's klamm! Der war gut! Und völlig unerwartet, oder? Jedenfalls soll entgegen der Ankündigung heute noch nicht direkt um die heroische Wiener Wehrbürgerschaft gehen, sondern ein weiterer Ausrüstungsgegenstand soll besprochen werden: Der Helm!

Der wiederum hat mich gezwungen einen Flachscherz zu entwickeln in dem es um Helme geht .. und das ist gar nicht einfach und hat mich sicher ein paar Dutzend Sekunden meiner Lebenszeit gekostet. Alles nur für euch, geneigte Leser. Und weil der Scherz jetzt durch ist könnten wir für heute auch schon Schluss machen wenn da nicht die Sache mit der Beckenhaube wäre. Da erwartet man natürlich den nächsten Spaß, wie z.B. wie nennt man eine gestrickte Badehose oder so .. der kommt aber nicht. Stattdessen ein Bild:


Das wäre meine Beckenhaube, die ich zuerst für meine Darstellung zu nehmen gedachte, dann verwarf (nur sprichwörtlich) um sie schließlich doch auf mein spärlich bewachsenes Haupt zu setzen.

Wo ist das Problem damit? Tja, da wirds kompliziert. Beckenhauben dieses Typus tauchen 1330 schon in Endland auf, da allerdings in diesem Beispiel ohne Nasal:

 
Während ein an der Ringbrünne befestigtes Nasal schon um 1330 in einer meiner gerne zitierten Quellen, nämlich auf der Rückseite des Verduner Altars in Klosterneuburg auftaucht (blauer Kreis),

 
zeigt dieser doch klar einen völlig anderen Typus an Beckenhaube die deutlich früher einzuordnen ist und auch in der (ebenfalls gern genannten) Lilienfelder Handschrift von 1355 erscheint (hier im grünen Kreis zu sehen):


Und während sie auf dem Verduner Altar noch irgendwie ins Bild zu passen scheint, ist sie um 1355 doch schon militärisch von einer deutlich weiter heruntergezogenen Variante dieses Helmtypus überholt worden, wie es zum Beispiel die um 1350 entstandene Grabplatte des Rezzo von Bachlingen zeigt:


In der Lilienfelder Handschrift wirkt sie daher etwas "old-school" und deutet auf eine gewisse Konservativität hin was die Abbildung Gerüsteter angeht.

Die veraltete Darstellung von Wehrtechnik in der Lilienfelder Handschrift wirkt um so befremdlicher, wenn man sich z.B. die Skulptur des Herzogs Rudolf IV am Wiener Stephansdom ansieht welcher um 1360 schon topmodisch daherkommt:


Ich würde das durchaus als Anzeichen sehen, dass Wien sehr wohl "am Puls seiner Zeit lag" und die vermeintliche Rückständigkeit der niederösterreichischen Buchmaler eben nicht zu 100% akkurat sein kann. Auch das Portal der Wiener Minoritenkirche (entstanden zwischen 1340 und 1350) zeigt bereits modern gerüstete Figuren, unter anderem auch einen Beckenhaubenträgern mit "geflutetem" Helm und deutlich erkennbaren "vervelles" zur Befestigung der "aventail". (siehe roten Kreis!)


Ach ja, für die weniger der Angeberei mit Fremdwörtern Zugeneigten unter euch: Da ist ein Kerl (roter Kreis) mit einem geriffelten Helm und lustigen Nupsis am Rand an denen die Kettenhaube hängt.

Wie man auf dem Bild von meiner Beckenhaube erkennen kann, dienen diese Nupperl ("vervelles") dazu die Helmbrünne abnehmbar zu machen. Damit steht sie im Gegensatz zu frühen Beckenhauben bei denen der Helm entweder über einer vollständigen Ringpanzerhaube getragen wurde oder diese direkt mit dem Helm verbunden und vernietet war.

Gesichert wird das Ganze in diesem Fall aber dann mit einem Lederband das durch diese Röhrchen geführt wird. Dazu hab ich naturgegerbtes und dabei rotgefärbtes Leder genommen (rot-weiß ist schließlich Stadtwappenfarbe):


Zusätzlich ist der Lederrand der über die "vervelles" gelegt wird und der der eigentlich Träger des Ringpanzergeflechts ist von mir mit Punzierungen des Wiener Wappens versehen worden. Man hatte ja schon so etwas wie Bürgerstolz damals!
Meine Beckenhaube (siehe unten mit geschlossenem Nasal) besitzt wie erhaltene Originale zusätzlich zu den "vervelles" auch noch eine Reihe von Löchern an denen das Innenfutter des Helms angenäht wurde. 


Mein Futter besteht wie die Originale aus Leinen, ist jedoch im oberen Schädelbereich deutlich gepolsterter (mit Schafwolle) als erhaltene Stücke. Das hat den einfachen Grund, dass mir mein anscheinend bascinetförmiger (noch so ein Fremdwort, heißt aber nur "beckenhaubenförmig") Schädel sonst so weit in den Helm rutscht dass ich die Augen kaum mehr aufkrieg. Mit der zusätzlichen Polsterung sitzt er jetzt aber perfekt.


Alles in allem fühlt man sich schon ziemlich sicher unter diesem Ding, auch wenn die Helmbrünne anders als bei noch späteren Modellen nicht gefüttert ist. 

Das ist dann übrigens ein Punkt über den ich nachdenken muss, denn ob der Schutz des Halses und vor allem der Kehle zu meiner Zeit und in unserer Gegend durch einen extra Polsterkragen oder einen Stehkragen am unter dem Ringpanzerhemd getragenen Rüstrock geschützt wurde ist mir noch unklar. Vor allem wenn man betrachtet, dass die Gerüsteten auf meiner Infanterie-Hauptquelle (dem Verduner Altar) scheinbar keine Textilpanzer unter den Panzerhemden tragen.

Lediglich einer scheint so etwas wie einen Kragen zu tragen, zu mindestens wirkt es als sei da etwas unter dem Ringpanzergeflecht am Hals (im violetten Kreis):


Die gefütterten Helmbrünnen der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts scheinen mir auf Grund der fehlenden Steifigkeit z.b. auf dem Minoritenportal nicht wahrscheinlich.

Damit wären wir heute mit Bildern, Fremdwörtern und Flaschscherzen schon durch .. und die Arbeit am Artikel über die WWW ("Wilde Wehrbürger Wiens", Trademark und Copyright bei mir) kann weitergehen.

PS: Mittlerweile hat sich noch einiges Interessantes ergeben (1.6.16):

Das Band mit dem die Brünne an den Kloben (was für ein schönes Wort, viel schöner noch als "vervelles") befestigt wird ist bei einer erhaltenen Beckenhaube aus dem DHM aus Seide, das find ich gut, praktisch und natürlich edler .. das wird bei meiner also noch ersetzt!

 
Ebenso werd ich wohl das Futter noch mal rausnehmen und die Wolle durch Rosshaar ersetzen. Historische dürfte das das richtige Polstermaterial sein. Während Schafwolle nämlich schnell zu müffeln beginnt soll Rosshaar das nicht tun. Also werd ich das auch noch überarbeiten.