Donnerstag, 22. November 2018

Marias Strümpfe oder Josefs Hosen?

Auch wenn es manchmal so wirkt, ist recherchieren anhand von Gemälden nicht einfach ein „Bilder-Anschauen“:

Neben der Bedeutungsperspektive (wichtige Personen werden groß dargestellt) bei weltlichen Themen, steht besonders bei den sakralen Gemälden die religiöse Aussage im Vordergrund. Auf den Bildern wurde nicht nur eine religiöse Geschichte erzählt, sondern es ging um eine Glaubensverkündung (vgl. Imbach J.: „Marias Panzerhemd und Josefs Hosen“).

Welche Missverständnisse in der Deutung passieren können, zeigt uns das Bild der Geburt Christi von Schloss Tirol:

Quelle

Dort liegt die Hl. Maria nackt im Bett. Daneben ein Korb und darin liegen weiße Hosen/Strümpfe/Beinlinge. Eins und Eins zusammengezählt denkt man gleich: Maria ist nackt, also müssen das ihre Strümpfe sein – erstes Fazit: auf diesem Bild sind Damenstrümpfe zu sehen.

Interessanterweise wird in der Fachliteratur (z.B.: „Kunstschätze des Mittelalters“ vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 2011) auch zu lesen in einer Pressemitteilung des Landesmuseums von den „Beinlingen Josefs“ gesprochen.

Warum Josefs Hosen?
(Hier sich bitte eine spannende Musik ala „Galileo Mystery“ vorstellen)



Aufschluss geben hier mehrere Quellengattungen, in diesem Fall Gemälde, eine Reliquie und christliche Legenden:

Am Multscheraltar in Sterzing findet man z.b. ein Bild der Geburt Christi das Josef zeigt, der sich gerade seine Beinlinge auszieht:

Quelle

Auf einem weiterem Gemälde (Antwerpen 1390-1400) schneidet Josef seine Beinlinge zu Windeln:
(Weitere Gemäldebeispiele finden sich im Text „In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert“, der ganz unten verlinkt ist.)

Quelle

In Aachen findet man unter den vier Aachener Heiligtümern die "Windeln Jesu" auch „Strümpfe des Josef“ genannt – seit 1349 ist die Aachener Heiligtumsfahrt (Pilgerfahrt, die alle sieben Jahre stattfindet und bei der die vier Reliquien, u.a. die Windeln Jesu, gezeigt werden) nachweisbar.

Auf einem Pilgerblatt (15.Jh.) des Domkapitels Aachen sind die beiden Windeln ebenfalls eindeutig als Beinlinge erkennbar (oben rechts):

Quelle

Die Legende, dass die Windeln Jesu aus Josefs Beinlingen entstanden sind, wird erstmals belegt 1345 (Margarete Ebner – Offenbarungen). 1382 schreibt Werner der Schweizer in seinem Marienleben:

„Maria wand ir kindelin
 in aerm klainu tüchelin,
Die man noch lat ze Ache sechen:
Ich warn und han es horen jechen.
Das su mit rechten maeren
Josephes hossen waeren
Zwai graewu tuchelu da sint.
Siner windelin, die man da vint.“


Auch in späteren Weihnachtsliedern aus dem 14. und 15. Jahrhundert findet man immer wieder die Anspielung darauf, dass Josef seine Beinlinge auszieht um Windeln daraus zu machen.

Die Bedeutung dieser Legende ruht auf dem Kerngedanken, dass Gott wirklich Mensch geworden ist, da er nun auch menschliche Bedürfnisse (Kälte) empfindet. Josef, obwohl er nicht der leibliche Vater von Jesus ist, kümmert sich liebevoll um ihn, indem er von seiner Wärme an ihn abgibt. (Hier steht, wie bei der Martinslegende, die Bibelstelle Matthäus 25,40 im Vordergrund: „Was ihr einem meiner Geringsten getan habt – mir habt ihr es getan.“)

Auf der anderen Seite steht die Legende der Hl. Brigitta:

Maria „entledigt“ sie sich ihrer Schuhe, ihres Mantels und ihres Schleiers. Dann holt sie zwei Leinen- und Wollstücke hervor und wickelt das Kind darin ein. Das ist z.b. hier auf einem Gemälde von Niccolò di Tommaso zu sehen:

Quelle
Attribution: Wikimedia Commons, Pinacoteca Vaticana [Public domain]

Am Ende steht also wieder eine Frage:

Wem gehören nun eigentlich die Hosen?


Josef de Coo gibt in seinem Artikel „In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert“ Auskunft: In Weihnachtsdarstellungen mit der Brigittafigur gehören die Kleidungsstücke eindeutig zu Maria. „Ist der hl. Josef – auch in Darstellungen ohne Birgitta – abwesend, […] so kann angenommen werden, dass keines der vorhandenen Attribute ihm gehört."

Zu den Strümpfen/Beinlingen von Schloss Tirol zweifelt de Coo nicht daran, „dass die Beinkleider die des hl. Josefs sind. […] Bemerkenswerterweise ist Josef in der „Anbetung der Könige“ dieses Altars barfüßig dargestellt.“

Eine ausführliche Beschreibung der Josefshosen, sowie weitere Abbildungen von Pilgermünzen, Gemälden, etc. findet man im Artikel „In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert“ ebenfalls.

Fazit


Ohne Kenntnisse der symbolischen Hintergründe der damaligen Zeit werden Abbildungen oft falsch gedeutet. Dabei braucht es gerade diese Quellenkritik um eine möglichst genaue Darstellung dieser Zeit zu ermöglichen.

Während z.b in diesem Fall das abgebildete Detail von Beinbekleidung außer Frage steht, die Funktionalität gegeben ist und sich die Formen auch in zahlreichen anderen Quellen finden war hier eben die Frage zu klären: Sind es Männer- oder  Frauenhosen?

Denn für Rekonstruktion und Präsentation von Realien ist so eine Festlegung natürlich von entscheidender Bedeutung. Und solche Fragen lassen sich dann nur mit ausreichendem Hintergrundwissen und detaillierter Recherche klären. Also, Augen auf beim Hosenkauf!