Mittwoch, 14. November 2018

Das Wiener Wehrbürgertum in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts - Teil 5

 ... und endlich geht's ans Eingemachte: Hardware! Sprich .. es gibt Bilder schöner Männer (na gut, eines leidlich ansehnlichen Mannes) in lustigen Helmen zu sehen!

Der Teil des Wehrbürgerwesens auf den wir heute eingehen wollen ist in Teil III beschrieben, es handelt sich dabei um die üblichen Wach- und Streifendienste die ein Handwerksmeister (egal wie schön) laut Stadtrecht zu leisten hatte. Da sich auch die meisten Primärquellen in dem vorhergehenden Artikelteil befinden werde ich immer wieder auf diesen verweisen.

Und wieder mal gilt mein Dank der Bachritterburg Kanzach wo diese Aufnahmen entstanden sind.

Abb. 1: Scho wieder Togdienst ... in dera Hitz! So a Schas!

Our english speaking guests will find a summary of the text at the end of the article below
Es ist Frühmorgens. Niklas hat sich aus dem Bett gewuzelt und zu seinem Erstaunen den alten, schäbigen Rock und seine schlechtesten Hosen vorgefunden: 

"Schatzl, was isn des do? So kan i ja ned unterd Leid geh!"
Aus der Küche kommt ein lakonisches: "Du hast heit Dienst, Haserl. Schau dasd fertig wirst!"

Tatsächlich ist zu vermuten, dass man im Dienst nur bedingt die besten Kleidungsstücke aus der Truhe holte. Gerade beim Tragen von Ringpanzer direkt auf dem Wollrock wäre es um den nagelneuen, flandrischen Rock doch ein wenig schade gewesen. Auch die Bildquellen (so wenig man sich auf die Farbwiedergabe in Handschriften und Gemälden auch verlassen kann) zeigen zu dem Thema eher billige und einfache Farben.

Seufzend zerrt Niklas seinen Ringpanzer auf den Boden und murmelt grantig:
"Wann de ned ole so messerdeppert waratn da in Wean und ned jeden Tog an ostechatn daun brauchat i des Zeig gar ned!" 


Der Konter aus der Küche folgt sofort: "Haserl, du wahst obo scho dass du a Messermocher bist, oder?"

Und wirklich sieht man im Wiener Raum sehr häufig Abbildungen die Fußsoldaten in Ringpanzer zeigen. Für den städtischen Einsatz fehlen zwar leider entsprechenden Quellen, aber wenn man die in Teil III unter "Ze zirgehn" - Streife gehen" angeführten Textquellen und Überlegungen heranzieht würde ich als Wiener damals auch auf Ringpanzer bestanden haben.

Abb. 2 Meine Methode einen Ringpanzer alleine anzulegen

Man sieht übrigens alle möglichen Arten von Ringpanzern in den Infanteriequellen um 1350. Von mit Sicherheit maßgefertigten, langärmeligen Modellen bis zu dem von mir hier gezeigten einfachen Modell mit halblangen und teilweise erstaunlich weiten Ärmeln.

Von ritterlicher Seite sind die Grabmäler des Hans Ulrich vom Hus von Isenheim (gestorben um 1342, Grabmal aus den 1340ern, links) oder ein heiliger Georg österreichischer Herkunft (dort auf 1330 datiert (?) aber wohl um 1350 entstanden, rechts) aus dem Metropolitan Museum of Art charakteristisch für diese recht kurzlebige Modeerscheinung:

Abb. 3 Der extreme Schlabberärmel Hans Ulrichs (Antoniterkloster, Issenheim) und das standhafte Modell des Hl.Georg (MET)

Im Infanteriebereich hingegen sind ähnliche Ringpanzer neben den im schon erwähnten Quellenteil gezeigten Abbildungen auch auf den Fresken von Burg Sabbionara im Trentin (um 1340, links) und in der Basilika von Como (um 1350, rechts) zu sehen:

Abb. 4: Norditalienische Infanterie-Ringpanzer um 1350

Über dem Ringpanzer wurde dann üblicherweise eine weitere Schicht getragen: der Suckl (Sucknei, Surcot, Überrock).

Anders als in der ritterlichen Rüstmode der Mitte des 14.Jahrhunderts spielen klassische Wappenröcke im Infanteriebereich keinerlei Rolle. Überhaupt ist jegliche Form von Uniformierung (Farben und Formen der Überkleidung) bei Fußsoldaten um 1350 derzeit für mich nicht nachweisbar.

"Wia jetza? Den schenan Blaun? Den soi i anziagn? Dea is ja viel zu schod fürs Zirgehn .. do wiad a nua ogriem, dreckad und irgendsoa Hansl sticht ma Loch eine!" rief Niklas entsetzt in Richtung Küche. "Und aussadem was ziag i daun am Sundog ind Kirch au, Mauserl?"

Die Antwort seiner Frau aus dem Oberstock ("Wia is de da aufekumma so schnö??") war sanft aber bestimmt: "Na vialeicht den schenanen Blaun, den Gfiadaden? Oda du kunntast den ganz Neichen nema .. wannst die endlich entscheiden kenntast wiast die Ärmeln hom wülst!"

Abb.5

Vielmehr setze man auf aus der Zivilmode stammende Suckneien die man wohl ähnlichen Auswahlkriterien unterwarf wie die restliche, aus dem Alltag stammende "Dienstkleidung": Akzeptabel, aber halt nicht in aktuellster Mode oder den teuersten Farben und Materialien.

So fehlen zum Beispiel bei den Infanterieabbildungen die zu jener Zeit in Mode kommenden Löffelärmel (siehe bitte meinen Artikel zu Ärmelformen in der "Minuskel" als Ergänzung).

Quellenkritisch betrachtet mögen natürlich die Ausmaße dieser schlappen Lappen ebenfalls eine Rolle gespielt haben sie nicht zum Favoriten in der Kataegorie "Best Infantry Gear 1346" zu nominieren. Obwohl gegen ein störendes Rumgeschwinge der Dinger auch damals eine Lösung gefunden wurde:

Abb. 6: Concordantiae caritatis cod. 151, um 1350, Lilienfeld, Österreich

Der eigentliche Zweck dieser Überröcke über dem Ringpanzer ergibt sich nach längerem Tragen bei verschiedenen recht schnell. Er schützt den Ringpanzer vor Auskühlung und Überhitzung .. welche dieser nämlich sonst (ich bin sicher breit grinsend) sofort an seinen Träger weitergibt.

Außerdem sorgt der Überrock für eine zusätzlich Polsterschicht die sich in extremer Form in den Textilrüstungen über den Panzern der 2.Hälfte 14. Jahrhundert wiederfindet.

Abb. 7: Imma de Scheißknepfeln!

Auch hier wird der Überrock modisch mit Knöpfen verschlossen. Statt Metallknöpfen hat die gute Frau Riemer aber hier auf einfache Stoffknöpfe zurückgegriffen. Wenn also dem lieben Niklas was passiert während dem Dienst geht sich für die eingesparten vergoldeten Silberknöpfe ein anständiger Leichenschmaus aus.

Abb.8

Im Dienst war das Tragen einer Seitenwaffe natürlich sinnvoll. Und die Gelegenheit die sonst eigentlich verbotenen "langen Stechmesser" mal auszuführen. Vor allem als Messerer.

"Und bitte vagiss ned wieder deine Hentzen, Haserl! Du hast no vül ztuan murgn in da Werkstod! Ned dasd deine Handipatscherl wida komplett zkratzt und grea und blau san!" ertönte die engelsgleiche Stimme der Göttergattin aus dem Keller. (Wia mocht de des??)

"I nimm de Hansch auf jedn Foill mid, Mauserl. Eh klor! S'lezte moi had mi da oide Kogler in Daam bissn. Des brauch i ned no amoi."

Abb.9

Glücklicherweise gibt es aus dem Stundenbuch der Jean d'Evreux (entstanden zwischen 1324 und 1328 durch die Künstlerhände des wunderbaren Jean Pucelle) tatsächlich eine Abbildung eines Infanteristen der seine frühen Plattenhandschuhe einfach am Gürtel hängen hat. Ein faszinierendes Detail, das wieder mal bestätigt dass die damals genau so dumm waren wie wir heute. (Oder wie ging der Satz?)

"Geh herst, Spatzerl .. des Schwert wia i echt ned brauchn. Des lass i daham. Da steht ma so hatschert mit dem Drum!" versuchte Niklas die Ausrüstungsauswahl seiner Frau zu kritisieren.

"Und wia du des midnimmst! Denk ans letzte moi wo die Ungaan mit de Hockgselln zsammbuurt san in da Blutgassn. I man, mia is wurscht, da Martin (Niklas neuer Geselle) is eh a Fescher. Heirad ih hoild den wan da dee Kuahirten is Beischl aussascheidn!"

Abb.10

Wie schon in den vorhergehenden Artikeln erwähnt, war das Tragen von Schwertern den Bürgern im Einsatzfall gestattet. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadt.

"Na guad. I warads dawn. Kriag i no a Baba-und-komm guad-wieda-zhaus-Busserl oder soi i mi dafir beim Martin austöln?" neckte Niklas sein geliebtes Weib während er Beckenhaube und Halmbarte an sich nahm.

"I bin do eh scho do!" meinte die Liebste da ganz sanft als sie den Raum betrat. (Jetza wiads ma unhamlich!) und Niklas einen stürmischen Kuss gab. "Und heit wonst, so da Her Christus wü, gsund hamkummst mach ma a bor Sochn für de ma a duzad moi Beichten geh miassn!"

Abb.11

Fertig ausgestattet und mit Halmbarte und Beckenhaube macht sich unser Niklas jetzt auf den langen, heißen Dienst auf Wiens Straßen und Gassen während er schon mal überlegt wie er dann am Abend zur "Siegesfeier" mit der auf ihren Helden wartenden Gattin die Kinder aus der Schlafstube raus kriegt.

Schließlich rief die Angebete zum Abschied während sie mit schwingenden Hüften auf ihrem Weg zurück in die Küche schritt:

"Ahjo! Fosd vagessn! Bring bitte a Brod mid!" 


SEUFZ


Summary for our english speaking guests:

We are finally reaching the most interesting part about this series: Hardware!
You will get to see pictures of handsome men (or maybe just an average man) in funny helmets!

One of the responsibilities of the Viennese militians was to go on patrol in the city during the day and the night. Since most of our sources are already mentioned on this blog, I will refer to them a few times in this article.

We would like to thank Bachritterburg Kanzach for once again providing us with the possibility to use their buildings as a scenic backdrop for our photos.


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(Abb. 1)
It is likely that on duty, our citizen would not have been wearing his most expensive and prestigious clothes. The maille would ruin the fine flandrian kyrtle if worn over it. And the picture sources also show that less expensive coloured clothes were in use.

(Abb. 2)
In the Viennese area, you can often see infantrists wearing maille. We do not have proof for militia to wear maille while on city duty, but as described in earlier articles,it might have been the best protection against what dangers were to be expected during these services. (Abb 2)

(Abb.3)
Several kinds of maille shirts can be seen on infantrists around 1350, both fitted to the body and with ¾ sleeved wide models.

Knights like Hans Ulrich vom Hus von Isenheim ( on his tomb from the 1340s) or this statue of St George (1330-50) in the Metropolitan Museum of Art show these characteristicly wide sleeves which seemed to be a fairly short lived fashion.

(Abb.4)
Infantrists can be seen with this sort of sleeve on the freskoes of Sabbionara Castle in Trentin (1340) and in the basilika of Como (1350) as well as in some oft he sources in the mentionned article.

(Abb. 5)
Over the maille, another layer was usually worn: the sucknei (surcoat, suckl, sucknei).

Different from knightly arming fashion from mit 14th century, the typical coat of arms did not play a role in infantry equipment. Any form of uniforms (fabric colours or forms) can not be proven for our time frame and region.

Rather, civil surcoats were used practical, clean and proving a certain status, but not too fashionable or expensive.

(Abb.6)
The very fashionable tipped sleeve was of course pretty unpractical for military use, so we do not see it often although they had solutions to deal with sleeves with that as well

The actual use of those surcoats over maille can be explained pretty quickly when wearing it in different weather. It protects the maille from becoming too cold or too hot because maille tends to spread warmth and cold to ist wearer pretty fast.
Also, the surcoat is another layer of protection over the maille and will in later years of the century become even more accentuated in textile armour (pourpoints)

(Abb.7)

The surcoat is closed with fashionable buttons, but instead of metal buttons, our militia man’s wife decided to go with simple fabric buttons. So in case something happens to him on duty, enough money will be left to arrange a decent funeral party.
(Abb.8)
On duty, the wearing of a side arm is usefull and a welcome opportunity for our knifemaker to take out the long knife, a weapon that is actually forbidden.

(Abb.9)

Gauntlets were also used by infantry and while not fighting they had to be placed somwhere.
In the book of hours of Jean d’Evreux (1324-1328 by Jean Pucelle) you can see an infantrist hanging his plate gauntlets on his belt, a fascinating detail.


(Abb.10)

As mentionned in previous articles, the wearing of swords within and outside of the city was allowed to citizens for these special occasions.

(Abb.11)
Niklas is now ready to go for a long service on Vienna’s streets.