Dienstag, 12. April 2016

"Der Kiepenkerl"

Heute wollen wir mal wieder einen kleinen Einblick in die wunderbare Welt der Living History präsentieren. Angespornt von den vielen schönen Szenen die sich bei unserer letzten Belebung der Bachritterburg in Kanzach ergaben haben wir uns auch ein wenig mit gestellten Szenen beschäftigt und präsentieren daher heute voller Stolz:

"Der Kiepenkerl"


Wandernde Händler die Kurzwaren und kleinere Luxusgegenstände des täglichen Bedarfs aus den Städten hinaus "aufs Land" brachten waren gerade für die rurale Bevölkerung eine willkommene Abwechslung von Arbeitsalltag und eine wichtige Quelle für den neuesten Klatsch und Tratsch aus den urbanen Zentren des 14.Jahrhundert.
So zeigt z.B. die Manessische Liederhandschrift auf Tafel 27 einen solchen fahrenden Händler, allerdings in diesem Fall nicht mit Kiepe sondern mit Esel. (da sich ein Esel aber kurzfristig nicht auftreiben lies haben wir den nächstgeeigneten Ersatz dafür gewählt und die Rolle einfach an Thomas vergeben der sie aus vollem Herzen zu aller Zufriedenheit auch wunderbar verkörpert hat)

Die Szene:
Nehmen wir also als Einstiegsszene ein ländliches Herrenhaus irgendwo im römischen Reich des frühen 14.Jahrhunderts. Der monotone Alltag wird überraschend unterbrochen als ein Mann mit Kiepe duch das Hoftor stapft, höflich um sich grüßt und die Herrin des Gutes zu sprechen wünscht.

Seine Kiepe ist voll mit den kleinen, leicht transportierbaren Waren städtischer Produktion die sich gut zum Wiederverkauf eignen: Gürtel, Paternosterschnüre, Messer und Messerscheiden aber auch Schuhe sind im Sortiment.

Die besten Stücke werden natürlich zuerst präsentiert und so kommt es zu einer ersten Begutachtung eines angeblich mit Silber beschlagenen Seidengürtels durch die erkennbar skeptisch Hausherrin, nicht umsonst hat ihr Mann sie wieder und wieder vor den hinterhältigen Praktiken der städtischen Handwerker gewarnt:

"Silber? Echtes Silber? Na, ich weiß nicht!"
Doch auch der ansässigen Dorfjugend ist der Neuankömmling natürlich sofort aufgefallen, bietet er doch eine erstklassige Gelegenheit für allerlei Schabernack. Und bei einem Fremden sind schließlich längerfristige Konsequenzen kaum zu befürchten.

Also nutzen die Annerl und ihre kleine Schwester, das Sofferl, die Gelegenheit doch mal genau zuschauen was es denn da noch im Angebot gibt. Wenn der Kerl nur nicht so groß wär! Und wenn Sofferl nur ihre Finger bei sich behalten könnt'. Der Kiepenkerl, ohnehin schon missmutig ob des schleppend laufenden Verkaufs, wird auch noch misstrauisch!
"Sind das Vögel? Vögeln kichern doch nicht, oder?"
"Schau unter die Decken!", meint Annerl und natürlich hat ihre Schwester das schon längst im Sinn. Also Zupfen und Ziehen kleine Finger an der Kiepe .. doch zum echten Beutelschneider fehlen der Sofferl doch noch wirklich die Voraussetzungen:

"Ja, spinn ich? Was machts ihr da, ihr Gfrasta?"
Rauhere Späße gehörten in der Gotik zum Alltag, daher findet die Mutter auch nichts weiter daran und amüsiert sich köstlich. Sehr zum Unmut de Kiepenkerls der schnell in Rage gerät. Die nur schlecht gespielte Bekümmerung der Kinder trägt zur Eskalation der Lage bei:

"Jawaszum#*%$ .. und außerdem ihr verd&ß*#!" (Zensiert)
So schnell wie die Heuschrecken in diesen Jahren über die Felder herfielen so schnell holt der Kerl in seiner Wut auch schon zur Züchtigung aus! Was bleibt der armen Mutter nun zu tun? Auf jeden gilt es den schönen Gürtel nicht los zu lassen, wo doch der Fremde gerade dabei ist sich selbst und auch das wertvolle Stück völlig zu vergessen:
"Eskriagtsjetzawatschndasseich14togdaschedlwogelt!" (exotische Fremdsprache)
Jetzt ist es aber Zeit einzugreifen (und den Gürtel abzugreifen) findet die besorgte Mutter. Und genug ist schließlich genug! Als her mit euch beiden  bevor noch ein Unglück geschieht!

"So, ihr zwei! Jetzt machts dass ihr wegkommt! Und wir sprechen uns später!"
Müßig zu sagen: Geschäft hat er keines mehr gemacht an diesem Tag, unser Kiepenkerl. Und den Gürtel hat er auch nicht wieder gekriegt. Denn genau wie die Kontrolle über die Situation hat die gute Frau das wertvolle Stück nicht mehr hergegeben. Beschwerden? Gerichtsverfahren? Als reisender Fremder, ohne Leumund und eigene Zeugen und mit den zwei durch den Aufruhr herbeigeeilten Knechten des Hofes im Genick? Eher nicht.

Besser auf einen neuen Tag und den Segen des Herrn hoffen .. und auf neues Glück!