Montag, 14. November 2016

God shave the queen

Also nach längerer pause soll es heute mal wieder um Messer gehen. Aber keine Angst ich zwirble nicht schon wieder irgendeine gewagte Plättchentechnik aus dem Ärmel sondern möchte mich hier mal mit dem Thema "Rasiermesser" (und in weiterer Folge der Kultur des Rasierens) auseinandersetzen.

Der Zugang zum Thema Rasur im Mittelalter, konkreter im Spätmittelalter und am konkretesten in der ersten Hälfte des 14.Jahrhundert ist nicht gerade einfach. Es gibt kaum Abbildungen die Männer bei der Rasur zeigen und die Textquellen geben zwar über das Rasieren und seine Abhaltung Auskunft erlauben aber keine Rückschlüsse auf das verwendete Messer.
Gerade deswegen sei mir mir ein Bild gestattet, und zwar aus dem Wolfenbüttler Sachsenspiegel der zwischen 1350 und 1360 entstanden ist: 

Bader oder Barbier um 1350
Barber around 1350, Sachsenspiegel

Der gute Mann, entweder ein Bader oder bereits ein spezialisierter Barbier/Scherknecht ist mit den Insignien seiner rasierenden Würde abgebildet, dem Rasiermesser und dem im zu Füßen liegenden Rasierbecken. Außerdem hat er noch ein Schwert ... das ist dann wohl für den ernstfall, also für Hipsterbärte gedacht.

Das Messer das er da (wohl in nicht ganz zart überzeichneter Übergröße) in den Klauen hält ist ein Rasiermesser alten Typs, wie man es auch bei früheren Abbildungen in mannigfaltiger Verwendung sieht. Eine Spezialisierung ist bei der Form nicht wirklich erkennbar.
Gott sei Dank gibt es aber vereinzelt Funde von Messer die etwas spezialisierter wirken und im Vergleich mit eindeutig zuordenbaren Exemplaren des 15. und 16.Jahrhunderts wohl mit recht "Rasiermesser" genannt werden dürfen.

Welche Charakteristika besitzen diese Messer aber denn genau? Dazu kommen wir jetzt:


Schärfe: Ein Rasiermesser muss scharf sein, sehr scharf sogar. Um so wichtiger ist es die Schärfe und gleichzeitig den armen Scherkecht vor der zu schützenden Schärfe zu schützen. Da bietet sich natürlich ein Lösung als Klappmesser an, wie es einige erhaltene Exemplare aus dem 15./16. auch eindeutig zeigen.

Spitze: interessanterweise weisen praktisch alle Rasiermesser eine schneidenseitig positionierte Spitze auf. Diese Konstruktionsweise ist so durchgängig (und gleichzeitig für das Spätmittelalter so ungewöhnlich), dass von der Archäologie Messer mit dieser Klingenform des öfteren als Rasiermesser gedeutet werden

Full-Metal-Jacket:
Nunja, kein besonders wissenschaftlicher Begriff aber durchaus erwähnenswert. Exemplare aus dem 12. bis 16.Jhdt. sind nämlich durchwegs komplett, also inklusive des Heftes oder Klappheftes, aus Metall. Genauer gesagt in der Regel komplett aus Eisen. Bei einem Messer dass ständig Nässe ausgesetzt ist und auch durchaus mit warmen Temperaturen zu kämpfen hat ist das ja durchaus sinnvoll.

Ein solch archäologenbetiteltes "Rasiermesser" in der nicht klappbaren Variante ist zum Beispiel auf der Wasserburg Mülenen gefunden worden:

Rasiermesser (?), Wasserburg Mülenen, 14. Jahrhundert
Straight razor (?), Castle Mülenen, Germany, 14th century
 
Wie schon erwähnt weist es a) mit seinem seit dem Frühmittelalter sehr unüblichen geknickten Rücken und einer Platzierung der Klingenspitze schneidenseitig und b) dem geschmiedeten Metalbügelgriff, einer ebenfalls seit der Kleinkinderjahre des Mittelalters mehr und mehr vergangenen Konstruktionsform, zwei Merkmale auf die es recht bemerkenswert machen (und die noch dazu die beiden letzten Punkte meiner obigen Aufzählung treffen)

Das wär also schon mal was gewesen, aber ich wollte halt was Aufwändigeres. Bin ja bekanntlich nicht gerade von der bescheidenen Sorte. Also hab ich mich auf die Suche gemacht wann denn die schmucken Klappraisermesser vom Ende des Mittelalter so auftauchen. Und ich wurde überrascht.

Ein sehr frühes Exemplar aus dem Frühmittelalter Osteuropas, weist bereits einen vollständig aus Eisen bestehendes Klappheft auf. Hier fehlt allerdings die charakteristische Spitze:

Rasiermesser (?), osteuropäisch, Frühmittelalter
Straight razor (?), Eastern Europe, Dark ages

Ein weiteres sehr schönes Exemplar welches schon sehr in die Richtung geht in die ich eigentlich wollte, stammt von der Burgruine Hohenneuffen und wird auf das 12.Jahrhundert datiert:

Rasiermesser (?),  Burgruine Hohenneuffen, 12.Jahrhundert
Straight razor (?), Castle Hohenneuffen, Germany, 12th century

Dann hätten wir da noch ein Exemplar aus dem 12.Jahrhundert, diesmal etwas aufwändiger und mit einem dem Punkt 3 meiner Liste nicht widersprechenden Knochengriff versehen:

Rasiermesser (?),  Arnsburg, 12.Jahrhundert
Straight razor (?), Castle Arnsburg, Germany, 12th century

Und während es für das 13. und 14. Jahrhundert mit Funden eher finster aussieht (was ja durchaus zu einem der meistverliehenen Adjektive in Verbindung mit dem Begriff "Mittelalter" passt) ist dann im 15. wieder einiges zu finden, unter anderem z.b. das da:

Rasiermesser,  deutsch, 1495
Straight razor, Germany, 1495

Da dieses deutsche Modell von 1495 jetzt aber nicht großartig anders aussieht als das Exemplar von der Ruine Hohenneuffen habe ich mal für mich beschlossen eine durchgehende Entwicklung vom 12. bis ins 16. Jahrhundert anzunehmen und bin schnurstracks in diese Richtung marschiert:


Rekonstruktion eines hochgotischen Rasiermessers aus dem 14. Jahrhundert
Reconstruction of a 14th century straight razor with iron folding grip

Anders als die vermutlich aus einem geknicktem Blechstreifen bestehende Heftvariante des Hohenneuffener Messer habe ich mich für zwei, miteinander vernietete Halbschalen entschieden da ich einen Anschlag für das Messer wollte. Die eingedrehte Angel habe ich übernommen und durch den im spätgotischen Modell noch erhaltenen Eisenring ergänzt:

Eisenring als Abschluss der Handhabe
Iron ring at the end of the folding blade

Der Ring erlaubt es wunderbar das Messer nach guter gotischer Tradition irgendwo an einen Haken zu hängen wie man es wohl mit verschiedensten Utensilien (zu sehen zum Beispiel in der Sienischen Freskomalerei) getan hat. Und man kann es sich auf dem Weg ins Badehaus oder in die Scherstube an den Gürtel hängen wenn man so ein allesverlegendes Kreuzköpfl ist, wie ich es eben bin.
(Damit es aber den Kaltenberger Bierhumpen nicht zerdeppert oder gar das 5-Liter-Trinkorn zerkratzt empfehle ich im Marktumfeld zusätzlich ein Rasiermesserhüllchen aus Baumwollgarn zu häkeln und überzuziehen. Das kann man dann auch gerne mit keltischen Motiven besticken und mit Bernsteinperlen versehen)

Die Klinge schließlich ist richtig schön scharf, mit gerader Schneide und in der oben erwähnten charakteristischen Form:


Da der Artikel jetzt schon eine ganz ordentliche Länge hat und ich meinem Sprachzentrum auch noch den englischsprachigen teil abringen muss wird der Artikel zum Rasieren selbst vorläufig auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Bei allen die sich in der Hoffnung auf bahnbrechende Rasurtipps und das How-To und What-to-have durch den ganzen Artikel gequält haben, entschuldige ich mich daher in aller Form und gebe als Trostpflaster zu bedenken dass es immerhin viele bunte Bildchen zu sehen gab.

Abstract for our english speaking visitors:

The short history of the straight razor we are looking at in this article starts with the three mean features a medieval razor had to have: a sharp and straight egde, a edge centered point and a handle made of metal.

The earliest example shown above is from the dark age, maybe the viking era. Archeological evidence for straight razors of the 12th century follows and the ending shows a surviving example of aroun 1500.
Whht follows is my reconstruction of a early 14th century straight razor assuming that the development of this type of knive is continous from the 12th century onward to around 1500.
The handle of the folding razor blade is made from the same steel as the blade itself and is constructed out of two iron plates riveted together. The tang has an iron ring on its blunt end so you can easily hang it to a belt or on a hook on one of your own four walls at home.