Ab wann ist ein Messer ein Messer? Schon seit dem Anbeginn der menschlichen Kultur sind einfachste Werkzeuge aus Stein zu Klingen geformt worden. Man kann jedoch bei diesen rudimentären Objekten noch nicht wirklich von „Messer“ sprechen. Zum Messer wird ein Objekt erst, wenn es zwei voneinander klar getrennte und deutlich unterscheidbare Bereiche hat: einen Klingenteil (auch Blatt genannt), der für das Schneiden zuständig ist und einen Griffteil (auch als Heft bezeichnet), welchen die Hand umfassen kann.
Von dieser Grundannahme ausgehend wollen wir nun die Tafel- und Essmesser des 14. Jahrhunderts, im Besonderen jene, die in der so genannten Plättchentechnik gefertigte Hefte aufweisen, einer näheren Betrachtung unterziehen. Beginnen wollen wir dieses Thema, indem wir uns ein wenig mit der Terminologie beschäftigen, die in weiterer Folge für diese Arbeit relevant sein wird.
Messer wurden beinahe das ganze Mittelalter hindurch vorwiegend als Griffangelmesser ausgeführt. (siehe Abb. 1). Dabei ist der später das Messerheft tragende Teil als meist im Querschnitt vierkantiger Dorn ausgeführt. Erst das Ende des 14. Jahrhunderts erlebt eine grundlegende Stiländerung, als die Griffangel als Heftträger von der bis dato nur sehr spärlich eingesetzten Griffplattentechnik ersetzt wird.
Abb. 1: Grundlegende Messertypen des Mittelalters - Griffangelmesser und Griffplattenmesser |
Während das Thema dieses Beitrags, die Plättchentechnik, das Vorhandensein einer Griffangel voraussetzt, möchte ich trotzdem kurz die Griffplattentechnik ansprechen, da diese dem modernen Menschen in Form der heutigen Jagd- oder Küchenmesser wohl vertraut ist.
Warum der Formenwandel von Griffangel zur Griffplatte gegen Ende des 14. Jahrhunderts nämlich genau erfolgt, obwohl die Griffplattentechnik nachweislich auch vor 1400 schon bekannt war, ist bis heute unklar. Die Unterschiede sind deutlich, denn während weiterhin nahezu die gleichen Materialien verarbeitet werden können, ist die Griffplattenkonstruktion auf eine völlig andere Formensprache ausgerichtet, die dem modernen Menschen sehr vertraut vorkommt und sich vom 15.Jahrhundert bis in die Gegenwart nahtlos fortsetzen lässt. (Abb. 2)
Abb.2: Grundsätzliche Formenunterschiede in der Heftgestaltung - Griffangelmesser und Griffplattenmesser |
So weisen zum Beispiel die „Baselard“ genannten Dolche und Dolchmesser des frühen 14.Jahrhunderts bereits Hefte in Griffplattentechnik auf, obwohl die Griffangeltechnik sowohl bei den meisten Arbeits- und Tafelmessern als auch bei den ebenfalls zur zeitgenössischen Seitenbewaffnung gehörenden Schwertern weiterhin die übliche Methode bei der Heftkonstruktion war. (siehe Abb.3)
Eine denkbare Theorie für die Verwendung dieser Konstruktionsform (die vor allem im Waffenbereich von Vorteil ist) könnte die nötige Stabilität der Waffe in Verbindung mit sinkenden Stahlpreisen in Verbindung bringen.
Gerade die Rohstoffpreise sanken im Laufe des Spätmittelalters enorm was eine Weiterführung der Griffplattentechnik im 15.Jahrhundert in allen Bereichen durchaus erlaubt hat.
Abb.3: Replik eines Baselard (Dolch) nach Funden aus der Ostschweiz, mit Griffplatten aus Rinderknochen |
Ambrogio Lorenzetti, 1338, Fresko "von der guten Regierung", Siena |
Wie bereits gesagt, bleibt die Griffangelkonstruktion aber im Bereich der Tafelmesser bis weit in das 14.Jahrhundert der absolute Standard der Messermacherei. Und genau dieser Konstruktionsmethode wollen wir uns jetzt auch endgültig zuwenden.
Die Konstruktion eines Heftes bei Vorhandensein einer Griffangel folgt einfachsten Prinzipien. Die Angel wird als Dorn genutzt, der von einem, meist hölzernen, Griff aufgenommen wird (Abb. 4.1). Messer dieser Art sind archäologisch in ganz Europa gut nachweisbar.
Eine Weiterentwicklung der einfachsten Bauform ergibt sich, wenn zwischen Griff und Klinge noch eine zusätzliche Platte gesetzt wird, die so genannte Schulterplatte. Diese Platte hatte anfangs wohl vorwiegend zweckdienliche Gründe, denn ein vor das Heft gesetztes Plättchen aus robustem Material wie Eisen, Buntmetallen oder Knochen verhindert, dass die Klinge bei heftigerem Hantieren mit der Klingenspitze in den Holzkörper des Heftes gedrückt wird und diesen spaltet. (Abb.4.2)
Abb.4 Konstruktionsweisen von Griffangelmessern – Steckangelheft (1 + 2) und Durchgangsangelheft (3) |
Der absolute Großteil der in der Regel ohne Griffstück bei Grabungen zu Tage tretenden Klingen dürfte in diesen beiden einfachen Konstruktionsweisen (Steckangelhefte mit und ohne Schulterplatte, Abb. 4.1 und 4.2) gefertigt worden sein da die sehr geringen Angellängen der meisten Funde keinen anderen Schluss zulassen.
Bei der dritten gezeigten Variante, dem Durchgangsangelheft, wird der Griff dann vollständig über die Angel geschoben und das versehentlich Abziehen des Griffes durch eine am Ende der Angel gesetzte Endplatte verhindert. Diese Endplatte wird mit dem Angelende vernietet, sprich die durch die Endplatte reichende Angel wird unter Hammerschlägen aufgepilzt und fixiert. (siehe Detail der Endplatte in Abb. 4.3)
Messer mit Durchgangsangelheften (Abb. 4.3) sind historische betrachtet gut nachweisbar, aber wie erwähnt eindeutig als Minderheit zu sehen. Vermutlich führte der höhere Materialaufwand bei den dafür benötigten, langen Angeln dazu dass die Klingenschmiede die einfachere und billigere Steckangelvariante bevorzugt fertigten. Erst gegen Ende der Hauptperiode des Griffangelmessers werden belegbare Durchgangsangelhefte häufiger. Der zusätzliche Materialaufwand scheint in Richtung der Entwicklung der Griffplattentechnik auf Grund der verbesserten Eisen- und Stahlerzeugung und den damit verbundenen niedrigeren Rohstoffpreisen keine Rolle mehr gespielt zu haben.
Schon im Frühmittelalter führte dann der Wunsch der Konsumenten nach Zierrat und Luxus recht schnell dazu, dass diese grundlegenden Konstruktionsweisen erweitert wurden. Betrachten wir zuerst die Gruppe der Steckangelmesser.
Bei dieser zahlenmäßig größten Gruppe wurde die anfangs simple und rein zweckmäßige Schulterplatte nun auch dekorativ gestaltet. Sie wurde unter anderem mit Schnitzverzierungen, Tauschierungen (Einlegetechnik von Bunt- der Edelmetallen in metallene Oberflächen) oder Gravuren versehen, man fügte zusätzliche Plättchen hinzu, setzte neue Materialien ein, und der „scheibchenweise“ Aufbau der Messerhefte in Plättchentechnik kam in Mode.
Die Plättchentechnik lässt sich so definieren: Durch die Anordnung verschiedener Scheiben, Bleche oder Zylinder aus unterschiedlichsten Materialien in Verbindung mit einem Heftkörper wird ein Messergriff gebildet. Alle Elemente, ob nun funktionell oder mit reinem Ziercharakter, werden mit Löchern versehen und auf die Angel aufgeschoben. Sie werden bei Steckangeln durch das Aufbrennen und Aufschlagen des hölzernen Hefts fixiert. (Abb.5)
Da die verwendeten Plättchen in der Regel aus hartem und manchmal auch sprödem Material bestehen, wurden zwischen die Lagen zu meist Zwischenlagen aus Leder gesetzt um durch dessen Dämpfungseigenschaft die Plättchen beim Fixieren fester aneinander pressen zu können. Gleichzeitig schützte die Reibung die die Zwischenlage bietet die benachbarten Plättchen vor einem Verdrehen auf der Angel.
Abb.5 Terminologie der Plättchentechnik bei Steckangelmessern |
Wie schon zuvor bemerkt wurde diese Technik auch noch im 14.Jahrhundert angewandt. Als Plättchengrundstoff kam jetzt eine Vielzahl an unterschiedlichen Materialien zum Einsatz. Durch Funde belegt sind unter anderem die Metalle und Metalllegierungen Eisen, Silber, Bronze und Messing als Schulterplatten sowie Zinn oder Blei als Dekorationslagen in den Plättchenpaketen. Als Schulterplattenmaterial ist aber zum Beispiel auch Horn oder Rinderknochen belegbar, beides Materialien, die sowohl zierenden als auch funktionellen Charakter aufweisen.
Abb.6 Replik eines Essmessers in Steckangelbauweise, mit Schulterplatte aus schwarzem Horn |
Die Materialpalette, die man in Plättchenpaketen einsetzte, war noch deutlich größer. Zusätzlich zu Eisen, Buntmetallen, Blei, Silber und Zinn sowie Horn, Geweih und Knochen kamen exotische Stoffe wie Bernstein, Gagat, Halbedelsteine wie Bergkristall oder Lapislazuli oder auch Koralle zum Einsatz.
Hier besteht eine starke Parallele zu der auch in der mittelalterlichen Paternosterherstellung (Paternoster = Vater unser = Vorläufer des modernen Rosenkranzes) eingesetzten Werkstoffen.
Der das Heft abschließende Heftkörper war bei allen mir bekannten Exemplaren aus Holz. In der Regel verwendete man dafür kurzfaserige und harte Hölzer wie Buchsbaum oder Ahorn. Gerade Buchsbaum war, wie die Funde zeigen, während der gesamten Periode des Mittelalters in weiten Teilen Europas das bei weitem beliebteste Griffholz für Ess- und Tafelmesser.
Abb.7 Replik eines Steckangelmessers mit Plättchenpaket aus Messing, Rinderknochen und Bernstein |
Ergänzte man nun das bisher Benannte um die Bauform der Durchgangsangelkonstruktion, so ergaben sich weitere Möglichkeiten der Dekoration, wie Exemplare aus dem Spätmittelalter eindrucksvoll beweisen. Denn anders als bei der Steckangelbauweise ist bei Durchgangsangeln der Einsatz eines hölzernen Heftkörpers nicht länger zwingend erforderlich, um die Elemente auf der Angel zu fixieren. Vielmehr erfolgt hier die Heftbildung durch das Vernieten der Endplatte mit der Angel selbst:
Abb.8 Terminologie der Plättchentechnik bei Griffangelmessern |
Somit wurde es möglich die Plättchentechnik entscheidend zu erweitern und eines oder mehrere Zwischenpakete auf dem Messerheft anzuordnen. Der eigentliche (meist hölzerne) Heftkörper trat dabei in den Hintergrund und hatte keinen rein funktionalen Charakter mehr. (Abb.9) Exemplare, die in dieser Bauweise gefertigt wurden, finden sich unter anderem bei den Dolchmessern des späten 13.Jahrhunderts aus der Ostschweiz, bei dem Messer aus Stralsund, einigen Exemplaren aus London, aber auch schon bei einem karolingischen Exemplar aus dem 8./9.Jhdt. aus einem Gräberfeld in der Oberpfalz.
Abb.9 Replik eines Durchgangsangelmessers aus Messing, Knochen und Heftkörper aus Buchsbaum |
Abb.10 Replik eines Durchgangsangelmessers aus Messing, Knochen, schwarzem Horn Türkis und Koralle |
Zusammenfassend sei gesagt, dass die Plättchentechnik wohl aus der Notwendigkeit geboren wurde, aber durch ihren dekorativen Charakter sehr rasch zu großer Wertschätzung kam. Verschiedenste Konstruktionsformen und Ansätze erlaubten dem mittelalterlichen Messerer also eine breite Palette an Kundenwünschen zu erfüllen – vom bäuerlichen Arbeitsmesser bis hin zum Tafelmesser des Adels – Stück für Stück, Scheibchen für Scheibchen.
Verwendete und weiterführende Literatur:
- Schneider, Waffen im Schweizerischen Landesmuseum , Bd.1: Griffwaffen (Zürich 1980)
- Holtmann, Untersuchung zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Messern, (Göttingen 1994)
- Cowgill, de Neergaard, Griffiths, Knives and Scabbards (Medieval Finds from Excavations in London:1), Boydell & Brewer/Museum of London (2008)
- Knorr, Messer und Dolch: eine Untersuchung zur mittelalterlichen Waffenkunde in gesellschaftskritischer Sicht, Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam Bd. 6 (1971)
- Saggau, Mittelalterliche Eisenfunde aus Schleswig. Ausgrabung Schild 1971-1975. Ausgrabungen in Schleswig: Berichte und Studien 14 (Neumünster 2000).