Mittwoch, 20. Juni 2012

Zeichen der Religiosität I

Heute möchte ich mich einem Thema zuwenden, das bei der Darstellung hochgotischen Lebens und auch generell bei mittelalterlichen Darstellern oft sehr nachlässig, wenn überhaupt, behandelt wird - die Gegenstände zur persönlichen Religiosität.

Prinzipiell ist davon auszugehen, dass der mittelalterliche, europäische Mensch des 14.Jahrhunderts gläubig war.
(Und, auch wenn es eigentlich klar sein sollte, Anhänger des christlichen, katholischen  Glaubens ! Der Faszination von Neopaganismus oder mythisch-keltischer Götterwelt mag man ja privat gerne erliegen, in der hochgotischen Darstellung hat sie allerdings nichts verloren)

Doch bereits in der Tiefe dieses Glaubens begegnen und die erstaunlichsten Facetten von engstirniger Frömmelei bis hin zum echten Atheismus. Gerade im Umfeld der von der römischen Amtskirche verurteilten Ketzerbewegungen gab es auch ein erstaunlich hohes Maß an Zweiflern. (als gute Quelle zum Thema Glauben in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts empfehle ich "Montaillou - Ein Dorf vor dem Inquisitor").

Für eine fundierte Sach-Darstellung wichtiger als die Frage nach dem Glauben des gotischen Menschen ist aber die Frage nach seiner Religiosität. Und auch hier kann man prinzipiell davon ausgehen, dass der Mensch dieser Zeit religiös geprägt war. Messen, Beichte, Stundengebete und viele andere Ausprägungen der Religiosität waren fest in den Lebensalltag der mittelalterlichen Leute integriert.

Wir wollen also nun einige Dinge betrachten, de für die glaubwürdige Darstellung eines religiösen Wieners um 1340 eine Rolle gespielt haben könnten.


Beginnen wir beim offensichtlichsten Zeichen christlicher Religiosität, dem Kreuz. 
Erstaunlicherweise müssen wir feststellen, dass ein sichtbar getragener Kreuzanhänger in Abbildungen oder figürlichen Darstellungen abseits der klerikalen Personendarstellung so gut wie nie zu sehen ist. Zwar gibt es im archäologischen Fundmaterial immer wieder Kreuzanhänger aus verschiedensten Materialien, aufgrund der Quellenlage müssen wir jedoch davon ausgehen, dass diese Gegenstände persönlicher Religiosität nicht für alle sichtbar getragen wurden.

Eine Replik eines solchen Kreuzanhängers aus Silber möchte ich hier kurz im Bild vorstellen, ich trage diesen Anhänger an einem blauen, geknüpften Seidenband unter meiner Kleidung.
Es handelt sich hierbei um eine etwa daumennagelgroßes, gleichschenkeliges Kreuz mit kugeligen Schenkelenden und einer zentralen, mit schräger Musterung versehenen Mittelplatte, das Kreuz ist in meiner Dokumentation (leider etwas ungenau) auf das 14.Jhdt. datiert.


Ein weiteres, durchaus auch schon bei Mittelalterdarstellern zweifelhafter Qualität zu beobachtendes, religiöses Accessoire ist die Paternoster- oder Gebetskette, eine Vorform des heute bekannten und gebräuchlichen Rosenkranzes (das Aussehen des heutigen, geschlossenen Rosenkranzes mit der üblichen Unterteilung und dem Kreuzanhänger kam erst mit dem 15./16. Jhdt. in Gebrauch).
Die hochgotische Paternosterschnur war eine aus (einer aus den meisten Quellen nicht näher bestimmbaren Anzahl) Gebetsperlen bestehende Kette welche oft in regelmäßigen Abständen von hervorgehobenen Perlen anderer Größe oder Machart unterbrochen wurde. Welche Gebete für die einfachen bzw. besonderen Perlen zu leisten waren ist unklar, Ave Maria und Pater Noster ("Vater unser") wären eine Möglichkeit, auch die Psalme werden immer wieder genannt. 2 solche Paternosterschnüre möchte ich hier vorstellen. 

 

Der kürzere der beiden hat gedrechselte, unbehandelte Beinperlen in Verbindung mit ebenfalls gedrechselten und dann rötgefärbten Perlen aus Bein, aufgezogen auf einer roten Seidenseele mit Quasten an beiden Enden. Solch kurze Paternoster sind auf Abbildungen späterer Zeit meist an männlichen Trägern zu beobachten.
Frauen hingegen tragen auf den Abbildungen oft sehr lange Paternosterschnüre, die hier nur in einem Teil der gesamten Länge gezeigte Variante hat 150 einfache Knochenperlen für die 150 Psalme und hervorgehobene Perlen aus Bernstein. Hier ist ebenfalls eine Seidenseele, diesmal in Gelb, das Trägermaterial und auch die Abschlußquasten sind wie bei der kurzen Variante an beiden Enden.
Erst für das späte 14.Jahrhundert sind als Abschluss Anhänger belegbar, so erwähnt Geoffrey Chaucer in seinen um 1390 entstandenen Canterbury Tales einen Paternoster mit einem goldenen "A" als Anhänger. (das "A" steht dort für "Amor vincit omnia" - "Liebe besiegt alles").

Mit der hochgotischen Version des modernen Rosenkranzes wollen wir also für heute schließen, in der Fortsetzung dieses Artikels, "Zeichen der Religiosität II" werden wir uns dann die, für moderne Menschen eher ungewöhnlichen Exemplare persönlicher, religiöser Ausstattung ansehen !