Samstag, 21. Juli 2012

Mensch vs. Maschine

Jeden, der sich unter diesem reißerischen Titel jetzt händereibend auf einen Exkurs über präastronautische Flugobjekte in der Tafelmalerei des Spätmittelalters gefreut hat, muss ich leider enttäuschen. Die Liebhaber klassischer Literatur hingegen könnten verwundert sein, dass sich hinter dem Titel kein Psychogramm des Konfliktes zwischen Don Quichote und einer seiner Windmühlen verbirgt.

Vielmehr möchte ich meine Überlegungen zum Thema Handnaht im Gegensatz zu mit der Nähmaschine gefertigter Kleidung festhalten, zu meiner Überraschung sind das doch einige Punkte:

-Zeitwahrnehmung
Um den Zeitaufwand bei der Anfertigung von Kleidung zur Zeit der Hochgotik wirklich zu verstehen sollte man sich einfach die Mühe machen auch historisch zu arbeiten. Da es keine mir bekannten, akkuraten Überlieferungen über die Vorgangsweise der ersten Schritte von Tuch zu Gewand gibt, sind wir hier schon mal auf Spekulationen angewiesen.
Das beginnt beim Maßnehmen ohne ein modernes Schneidermaßband - Knotenschnüre wären hier eine vermutete Möglichkeit. Die Übertragung der Maße auf den Stoff erfolgte vermutlich durch eine Art von Vorzeichnung, vielleicht mit Kreide oder Kohle. Solche Vorzeichungen mit Kohle sind aus der Bildstickerei jedenfalls gut belegt. Beim Zuschnitt selbst ist man schon auf sichereren Beinen unterwegs. Scherenfunde gibt es zuhauf und auch Abbildungen sind zahlreiche zu finden.

Der Hl. Franziskus beim Schneidern seines Gewandes
(Quelle: The Taymouth Hours, British Library)

Bis zu diesem Arbeitsschritt war die Arbeit zwar ein wenig umständlicher, aber durchaus mit dem heutigen Ablauf für Schnittentwicklung und Zuschnitt gleichzusetzen. 
Nun beginnt aber die eigentliche Näherei und da werden dann die Unterschiede deutlich. Und das recht heftig, denn es liegen zahllose Meter winziger Nadelstiche vor einem. Allein das Versäubern eines eigentlich bereits tragbaren Kleidungsstücks nimmt immer noch Stunden in Anspruch! Kein Vergleich mit dem Runterradeln von Nähten an einer Nähmaschine.

Und genau das macht den ersten Punkt aus. Durch die Aufwendung all dieser Arbeitsstunden erfährt man aus erster Hand den deutlichen Wertgewinn von Tuch zu fertigem Gewand!

-Nahtarten
Wer sich gefundene Originale ansieht oder die entsprechenden Publikationen dazu liest, findet schnell heraus, dass die meisten historischen Nähte gar nicht mit einer Maschine hergestellt werden können.

Damals wurden alle Säume, an der Außenseite nahezu unsichtbar, auf Links genäht, also anders als die heute bei vielen Kleidungsstücken üblichen, einfach durch alle Stofflagen durchgesteppten Säume.
Kappnähte kann man zwar mit manchem Nähmaschinenzubehör erreichen, aber gewisse Nähtechniken z.B. Überwendlingstiche liegen außerhalb der üblichen maschinellen Methoden.
Weiters wurde die Versäuberungen von Stoffkanten auf mannigfaltige Art durchgeführt, keine der Methoden jedoch gleicht dem modernen Endeln oder der Arbeitsweise von Overlocknähmaschinen.

Außenansicht einer Naht in Vorstichtechnik mit Versäuberung

Zusammenfassend ist zu sagen, es gibt Nähte und Arbeitsschritte die einem eine Nähmaschine abnehmen könnte ohne dass es zu einer optischen Beeinträchtigung des Kleidungsstücks kommt, für den Großteil ist das jedoch unmöglich.

-Nahtmaterial
Unter Nahtmaterial möchte ich die Nähutensilien zusammenfassen, also Nadel und Faden.
Historische Nähnadeln haben alleine schon durch ihr Material eine andere Handhabung als moderne Stahlnadeln. So neigen Messing- oder Eisennadeln dazu mit der Zeit durch den Hautkontakt eine Patina zu bilden die eine raue Nadeloberfläche schafft und ein gelegentliches Nachpolieren nötig macht. Knochen- oder Geweihnadeln haben diesen Nachteil nicht, hier ist das Hauptproblem das spröde Material, welches bei unvorsichtiger Nadelführung zum Abbrechen der Nadel im Bereich des Öhrs führen kann. All diese fühlbaren Unterschiede führen zu einer deutlich "persönlicheren" Wahrnehmung der Nadelführung als bei einer rhythmisch tackernden Maschinennadel.
Der zweite Teil des Nahtmaterials ist der Faden, und erst hier beginnt sich die Nähmaschine endgültig  selbst ins Abseits zu stellen. Der Grund hierfür ist einfach - eine Nähmaschine ist für die Verwendung standardisierter Nähseiden ausgelegt. Will ich aber historisches Material verwenden muss von handgesponnenem Leinengarn über Wollfäden verschiedenstes Fadenmaterial verarbeitet werden. Eine Maschine kann die dafür nötige gefühlvolle Fadenspannung einfach nicht aufbringen, von den maschinenbaulichen Problemen bei unregelmäßigem oder knotigem Fadenmaterial mal ganz abgesehen.

Handgesponnener Leinenfaden

Als Fazit mag gelten: Während die Nadel nur die Empfindung des Nähvorgangs beeinflusst, wird die Verwendung historischen Fadenmaterials in den meisten Fällen zum Ausschlusskriterium für Nähmaschinen.

-Generelle Optik
All die oben angeführten Punkte mögen sich einer von Weitem durchgeführten Inspektion noch entziehen, doch mit historischen Nähten gefertigte Kleidungsstücke fallen auch anders als moderne. Je nach verwendetem Fadenmaterial oder der eingesetzten Nahtart fällt das Kleidungsstück völlig anders als bei einer Maschinennaht.
Generell ist hier zu beobachten, dass historische Handnähte im Allgemeinen weitaus steifer sind als moderne Maschinennähte. Vor allem der Einsatz von Kappnähten und die aufwändige Versäuberungstechnik von in Vorstichen gefertigten Nähten verändern den Fall des Stoffes und somit die Optik des getragenen Kleidungsstückes entscheidend.

Um den gesamten Artikel nach all den umständlichen Formulierungen und geschraubten Sätzen zusammenzufassen:

Der Einsatz von Maschinen bei der Rekonstruktion historischer Kleidung ist in einem stark eingeschränkten Bereich möglich, bleibt aber auf so wenige Anwendungsgebiete beschränkt, dass sich der Einsatz kaum lohnt.