Samstag, 15. Juni 2013

Schreiben - eine nicht ganz selbstverständliche Sache

"Der Herr hat mich ja mit vielen Gaben gesegnet, gelobt sei er und sein Sohn Jesus Christus! Doch ein gutes Gedächtnis gehört nicht dazu. Da kommt es mir gut zu, dass mein Vater das Geld aufbringen konnte mich auf die Schule zu Sankt Stephan zu schicken. Dort hab sie mir das Nötigste an Lesen und Schreiben eingebläut und so bin ich heute einer der wenigen in unserer Gasse der so was Ausgefallenes kann. Und ich kann brav mitschreiben wer noch was ausständig hat. Meinen Kindern versuch ich das Schreiben auch beizubringen, die sollen es im Alter dann auch leichter haben. Aber schwer ist das schon!

- Niklas Riemer, Januar 1340 --"

Literarität war im Mittelalter bei weitem keine weit verbreitete Sache. Vor allem im klösterlichen und klerikalen Bereich war sie jedoch im Spätmittelalter schon sehr weit verbreitet und auch die aufstrebenden Stände des Bürgertums fanden durch die Erfordernisse des Handels immer mehr in die Schriftlichkeit.

Neben Büchern, einem nahezu unbezahlbaren und kostbaren Gut war das schreiben auf Wachstafeln um 1340 schon recht weit verbreitet. Zahlreiche Funde solcher Tafeln zeugen davon. So wurde z.B. in Lübeck ein wundervolles Set an kleinen Taschen-Wachstäfelchen gefunden, komplett mit einem Lederetui und der Aufnahme für den Schreibgriffel, den so genannten Stylus.

Wachstafelset mit Etui, vermutlich aus dem späten 15.Jhdt.
aus "Mittelalterliche Schreibgriffel aus Lübeck"
von Torsten Lüdecke und Ulrich Drenkhahn

Obwohl die Objekte in der obigen Abbildungen deutlich nach meiner Darstellungszeit zu datieren sind, finden sich doch ähnliche Dinge auch schon deutlich früher. So z.B. gibt es ein ähnliches Etui im Nachlass des Hermann von Goch aus dem 14.Jhdt. Dort sind allerdings Schiefertafeln enthalten.

Da ich derzeit intensiv an einem neuen und recht interessanten Gürteltaschenprojekt arbeite und immer noch am auflisten und nachdenken bin was man da denn so reinpacken kann, bietet sich ein Schreibgarnitur natürlich an, also entschloss ich mich die passenden Wachstafelfunde mit den passenden Funden aus anderen Komplexen zu kombinieren.

Es wir daher wohl ein kleines Wachstafeldyptichon werden, inklusive dem passenden Lederetui und einem Stylus aus Knochen, Teile davon sind schon fertig und sollen hier präsentiert werden:


In der oben erwähnten Publikation von Lüdecke/Drenkhahn "Mittelalterliche Schreibgriffel aus Lübeck"sind erwartungsgemäß eine Menge schöner Vorbilder enthalten, Griffel aus Eisen, Buntmetall oder Knochen. Trotzdem habe ich mich entschieden, für meine Stylus eine Vorlage aus dem Londoner Fundkomplex zu nehmen. Das liegt an mehreren Gründen, zum ersten mag ich die Themsefunde sehr gerne weil durch die enorme Zahl der gefundenen Objekte auch sehr Ungewöhnliches gut dokumentiert vorliegt, zum zweiten ist Lübeck ja auch nicht gerade um die Ecke und zum dritten hab ich ein gewisses Faible für Exoten, nachzulesen unter anderem bei den Artikeln über den Kerzenhalter und die Waage. Man kann mir also wohl begründet vorwerfen ich würde nicht genug auf den viel zitierten "repräsentativen Querschnitt" achten. Stimmt! ... und es ist mir bewusst .. und nebenbei auch völlig egal. Ich habe eine viel zu große Faszination für den Erfindungsgeist gotischer Tüftler um mich von so was abhalten zu lassen.


Daher finde ich gerade die Griffel aus London sehr speziell, denn sie besitzen eine, in den Grundkörper aus Rindsknochen eingesetzte, metallene Spitze. Warum man das so gemacht ist unklar, denn auch Rindsknochen besitzt bekanntlich die Eigenschaft sich nadelspitz verarbeiten zu lassen. Es wurden ja auch reine Knochengriffel gefunden, die dem selben Design entsprechen wie die Metallbespitzten. Möglich wäre daher, dass man einen Stylus mit abgebrochener Spitze durch das einsetzen einer metallischen gewissermaßen "restaurierte".


Das Wachs-Leinöl-Ruß-Gemisch habe ich mal wieder weniger nach überliefertem Rezept als nach Gefühl zusammen gemischt. Die erste Mischung war ideal was die Konsistenz anging, weich und nur leicht schmierig. Es sollte nämlich gleichzeitig weich genug sein um es stellenweise in einer dem radieren ähnlichen Weise wieder zu glätten, darf aber auch nicht so schmierig werden, dass eine gewisse Temperaturbeständigkeit nicht mehr gewährt ist. Aber die Farbe war eher ein dunkles Grau als das erhoffte Schwarz, also hab ich noch ein wenig Wachs und Öl dazu gegeben und eine größere Menge Ruß aus dem Kamin gekratzt, fein gemahlen und eingemischt.

Wie man sieht, passt die Farbe jetzt allerdings knirscht das ganze ein wenig beim Schreiben - zu viel Ruß! Trotzdem sind die Täfelchen hinreichend funktionell.

Das Etui muss ich jetzt natürlich auch noch machen .. und dann muss noch die Tasche fertig werden .. es gibt also viel zu tun, packen wir's an!