Montag, 18. Januar 2016

Jetzt kann ich mir wieder in die Tasche lügen!



Die Interpretation von Bildquellen unter Zuhilfenahme der Quellenkritik treibt ja die meisten von uns regelmäßig um. Manchmal aber ist ein abgebildetes Objekt so faszinierend, dass es nach Rekonstruktion förmlich schreit.
So jedenfalls ging es mir nach einer neulichen Durchsicht der so genannten „Concordantiae caritatis“ aus Lilienfeld die um 1350 entstanden ist.

Das wirklich Schöne an der Quelle (wenn etwas das mit Quellenkritik zu tun hat wirklich schön sein kann) ist: Leder ist schwarz! Immer? Nein, nicht immer. Aber sehr oft. Das mag ich.
Man kann sagen mit der Lilienfelderhandschrift ist es wie mit den Fingern und den Daumen: Nicht alle Objekte aus Leder sind schwaru, aber alle schwarzen Objekte sind wohl aus Leder.

Daher ist auch bei diesem Taschenmodell mal davon auszugehen (sag ich mal so salopp), dass es ebenso aus Leder ist wie die Schuhe und Messerscheiden der anderen Teilnehmer an den „Konkordanzen der Liebe“.


Eine Pilgertasche aus Leder also, und somit mal was anderes als die ewigen Leinenbeutel die man so im Laufe des Darstellerlebens mit sich rumschleppt. Und da mein Nachbar und guter Freund auch noch ein begnadeter und sehr freigiebiger Lederhandwerker ist konnte ich in diesem Fall, bis auf wenige Details, mal als reiner Designer auftreten.

Faszinierend finde ich auf dieser Bildquelle, neben der Form und zu Grunde liegenden möglichen Taschenkonstruktion, vor allem die Tatsache, dass der Riemen der Tasche eindeutig farblich abgehoben wurde und aus einem anderen Material zu bestehen scheint. Da kann man natürlich quellenkritisch sagen: Ja, aber der Gürtel ist ebenfalls in einer anderen Farbe und es könnte daher beides Leder sein? Noch dazu ist beides rot bzw. rotbraun?

Der Hl. Koloman (+1012), attributär richtig erhängt

Stimmt und dazu könnte ich wenig entgegnen .. außer dass es sich eben immer um eine Interpretation von Bildern handelt. Und ich interpretiere das dann halt mal so:


Was auf dem Bild aus der Handschrift auch auffällt ist eine schwarze, nennen wir sie mal, Lasche die vom Taschenkörper aus nach oben ragt und ebenfalls noch in Schwarz gehalten ist. Zuerst hielt ich das für einen eigenartigen Versuch dem Ganzen eine zusätzliche Dimension zu geben. Mein lederwerkender Nachbar brachte mich aber dann auf eine andere Idee:

Sieht das nicht aus wie eine klassische Gürteltasche? Mit Laschen für den Gürtel? Nur halt deutlich größer als üblich?

Also ich finde schon und daher hat meine Rekonstruktion aus vegetabil gegerbten Ziegenleder auch die wesentlichen Merkmale der klassischen spätmittelalterlichen Gürteltasche bekommen: Fächer, Eingriffe (auch in der Deckklappe), die angesprochenen Laschen und eine Klappenbindung aus Leder.

 
Die Laschen hab ich dann verwendet um den Trageriemen, ein gewebtes Leinenband, zu befestigen, gleich nachdem ich meinen herzallerliebsten Nachbarn noch dazu genötigt habe ihn nicht einfach, sondern aufwändig mit dem Leder zu vernähen. Ein gotischer Vierpass schien mir dekorativ angemessen.


Was eigentlich noch fehlt sind die Muscheln. Die hab ich zwar aus Spanien mitgebracht und sie haben auch die passende Größe, allerdings ist es mir im Moment noch zu schade um die guten Stücke. Gerade bei einer Tasche mit der man alle 10 Minuten mal irgendwo anrennt würden die mir wahrscheinlich schneller wegbröseln als in Spanien die Jakobsmuscheln sterben. Daher (auf jeden Fall im Moment) bleibt die Tasche muschellos.
Und ich schätze mal ich bin dem Nachbarn mal wieder ein Messer schuldig. Was nix macht, der neigt sowieso dazu seine Messer zu verlieren.

Abstract for english-speaking visitors:
I made a design for a medieval pilgrim bag und it was reproduced in goat leather. That is quite abnormal for pilgrim bags which mostly look like they were made from linen or maybe wool. The picture of St. Koloman (an Austrian Saint) posted above shows some similiarities to late medieval girdle or belt purses. Threrefore this bag is some kind og hybrid between a bag worn on the belt and one worn on a shooulder strap. The strap is made out of a woven linen band.

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